Porsche 911 von Singer Vehicle Design

So fährt sich das 964er Retro-Geschoss

Die Firma Singer Vehicle Design aus Sun Valley, Kalifornien, restauriert Porsche 911 der Baureihe 964. Nicht ganz original, dennoch faszinierend. auto motor und sport durfte ein gerade fertiggestelltes Exemplar zwischen Wüste und Pazifikküste ausführen.

Porsche 911 by Singer Vehicle Design, Frontansicht Foto: Les Bidraw 16 Bilder

Der Singer hängt am Gas, wie ein moderner GT3

Das Öl, sagt Seamus auf dem Beifahrersitz rechts neben mir, sei jetzt warm. „Du kannst Gas geben.“ Okay. Vor uns schlängelt sich der Mulholland Drive durch die Santa Monica Mountains, kein Verkehr zu sehen, erst recht keine Highway Patrol. Ein kurzer Zwischengasstoß, zweiter Gang, wrrrummmm.

Der schlachtschiffgraue Porsche 911 knallt nach vorn, hinten heult der Boxer auf, die Nadel vorn in der Mitte schnellt auf siebentausend, dritter Gang. Puuhh, was war das denn? Dieser alte 911er hängt am Gas wie ein moderner GT3, geht subjektiv mindestens genauso gut und sieht doch aus wie ein Porsche 911 der F-Baureihe von 1973. Na ja, fast so wie einer von 1973. Was daran liegt, dass dieses Auto zwar ein restaurierter alter Elfer ist, jedoch einer von 1990, ein 964 also. Was in Deutschland an einigen Porsche-Stammtischen für Schnappatmung sorgen könnte, ist hier in Kalifornien kein Thema: Originalität? Ja nun, wer's mag. Mehr Leistung? Gern, mehr ist immer besser. Dieser Porsche 911 wurde von der Firma Singer Vehicle Design restauriert, sie verwandelt seit ein paar Jahren in einer unscheinbaren Halle nördlich von Los Angeles verbrauchte 964er in aufregende Retro-Geschosse.

Vier Liter und fast 400 PS

Und dieses Auto ist die aktuellste Ausbaustufe von Singer: mit Vierliter-Boxer und fast 400 PS sowie beinahe allen Zutaten, die Singer im Angebot hat. Wenn ich jetzt alles aufzählte, wäre der Artikel zu Ende und Sie wüssten dennoch nicht das Wesentliche über dieses Auto. Rob Dickinson, Gründer und Mastermind von Singer Vehicle Design, bringt die Philosophie seines Unternehmens auf den Punkt: „Mein Ziel ist, dass unsere Autos einfach nur aussehen wie wirklich schöne alte Porsche.“

Rob ist Engländer, was man an seinem britischen Akzent heraushört, und er tourte während eines großen Teils der 90er-Jahre als Sänger und Gitarrist der Rockband Catherine Wheel um die Welt. Was man erst glaubt, wenn man sich die Youtube-Videos seiner MTV-Auftritte vor 20 Jahren ansieht. „Alte Porsche waren damals schon meine Leidenschaft, es begann mit einem 356 in England, und Anfang der 2000er fuhr ich mit einem von mir umgebauten 69er Elfer durch Hollywood“, erzählt er zur Geschichte seines Unternehmens.

Irgendwann wollten andere, wohlhabende Porsche-Fans in Hollywood genauso coole Porsche 911 haben, die Idee für Singer Vehicle Design war geboren. Inzwischen hat Robs Firma mehr als 30 Autos restauriert, und mindestens 20 weitere sind fest bestellt. Keines von ihnen war wesentlich billiger als 400.000 Dollar – ohne den Ausgangs-964er in beliebigem Zustand, versteht sich.

Für sich selbst habe er kürzlich einen günstigen Porsche 911 gefunden, etwas ungepflegt, doch sonst o.k., sagt er und deutet auf einen staubigen indischroten 993 im Hof vor der Halle. Um Robs roten Porsche gruppiert sich ein kleines Rudel 964er in mehr oder weniger restaurierungsbedürftigem Zustand, lauter künftige Projekte. Inzwischen hat SVD Kunden in der ganzen Welt, erste Bestellungen und Wünsche aus Europa, darunter England und Deutschland, träfen ebenfalls ein, erzählt Rob.

Schalensitze in Maßanfertigung – Ehrensache bei Singer

Dazu führten sie bereits Gespräche mit deutschen TÜV-Stellen, sekundiert Chris Walrod, Technical Director bei Singer und in einem früheren Leben Renn-Ingenieur bei Indycar-Teams. Die fertiggestellten Autos erhalten einen Aktenordner mit allen Daten, Unterlagen und Rechnungen; die Ordner lagern in Robs Büro oberhalb der Werkstatt, auf dem Rücken der Name des Projekts: „Chicago“, „San Diego“ oder „Hongkong“, jeweils der Wohnort des Kunden.

Womöglich parken dort bald Ordner, auf denen „Hamburg“ steht, „München“ oder „Rottach-Egern“. Dass die restaurierten Autos aus der Singer-Werkstatt auch in Europa auf Interesse stoßen, ist in Porsche-Fankreisen lange bekannt – selbst wenn ein Porsche 911 von Singer eine sehr kalifornische Interpretation des Themas ist. Das sieht auch Firmenchef Rob so. Ein Kollege schrieb einmal, die Autos von Singer seien Liebesbriefe aus Kalifornien an den Porsche 911. Treffender lässt sich das nicht ausdrücken, hier gehört dieses Auto hin, dieser 964 passt nach Kalifornien.

Wir biegen an der Chevron-Tanke auf den Pacific Coast Highway. Malibu: Hier wohnen Leute, die zehn Millionen Dollar für ein Haus am Meer ausgeben oder gern auch mal eine halbe Million für einen alten Porsche 911. Wir parken am Meer und sehen den Surfern zu. Seamus Taaffe, in Personalunion Ire, Mechaniker, Kundenbetreuer und Testfahrer, beantwortet geduldig die Fragen der Passanten, verteilt Visitenkarten und sagt: „Kommt vorbei und schaut euch die Autos an.“ Dann zwängen wir uns zurück in die engen Schalensitze, Maßanfertigungen, es sind die sogenannten Track Seats, bequemere Sitze gibt es natürlich ebenfalls auf Wunsch. Es geht zurück nach Sun Valley, diesmal über die Küstenstraße und Santa Monica. Hinter der Heckscheibe taucht gleich die Sonne in den Pazifik und wirft goldenrotes Licht über Strandhäuser, Palmen und den Highway samt der Autos, die uns auf vier Spuren umströmen.

Keine Zeit zum Träumen, wir müssen zurück, denn Chris möchte für morgen das Fahrwerk noch ein wenig einstellen: Für das geplante Rennstrecken-Fahren in Willow Springs will er das Öhlins-Fahrwerk ein paar Klicks härter drehen. Zurück in der Werkstatt, erzählt Chris noch ein wenig über den Motor, der bei einem renommierten Porsche- Rennmotoren-Tuner in der unmittelbaren Umgebung aufgebaut wurde. Jedes Auto verlässt die Werkstatt mit dem Motor, mit dem es hier ankam, Matching Numbers sind Ehrensache bei Singer. Und Chris streichelt fast zärtlich den Luftsammler, ein GT3-Teil, das noch etwas verfeinert und optimiert wurde.

Porsche 911 von Singer, was fehlt ist eine halbe Mio.

Überhaupt ist die handwerkliche Sorgfalt und Akkuratesse, mit der jedes Detail dieses Wagens ausgeführt ist, beachtlich. „Wir haben nichts als Respekt und Bewunderung für die Leute, die diese Autos in Zuffenhausen gebaut haben“, sagt Rob, „unser Beitrag ist eine Verbeugung vor ihrer Arbeit.“

Willow Springs liegt in der Mojave-Wüste zwischen Los Angeles und der Edwards Air Force Base, und wenn Roadrunner und Coyote vorbeikämen, wäre es wahrscheinlich kein Wunder. Die Strecke schmiegt sich in klapperschlangenartigen Windungen durch die Hügel, der Wind weht gern Staub in die Anbremszonen. Also fallen die Runden um den Wüstenkurs vorsichtig aus. Was man dennoch spürt: den enormen Grip auf der Vorderachse, der keinen Hauch Untersteuern zulässt, das neutrale Fahrverhalten, die noch exakter zubeißende Lenkung und den nie nachlassenden Schub des Vierliters, der unterhalb von 5.000 Umdrehungen etwas herber läuft als der Serienmotor.

106 Grad Fahrenheit zeigt das Thermometer, als der Wagen ausrollt. Ich habe viele Fragen an Chris. Und einen 964. Jetzt fehlt mir nur noch eine halbe Million.