Exklusive Probefahrt im Sony Vision-S

Können 400 kW von 6 Displays ablenken?

Sony gibt den Fahrerplatz im Prototyp des 2020 präsentierten Vision-S frei. Also einsteigen, anschnallen – und sich nicht ablenken lassen.

Sony Vision-S Foto: Peter Reiter 19 Bilder

Zu den Fragen, die man sich bislang eher nicht vor einer Autofahrt stellte, zählt sicher jene, ob die Displays im Cockpit nun im Design von Spiderman, den Ghostbusters oder der Vampir-Rasselbande aus dem Animationsfilm Hotel Transsylvanien 3 erstrahlen sollen.

Videospiele dürfen noch draußen bleiben

Der Sony Vision-S jedenfalls stellt diese Frage seinem Fahrer, bietet allerdings auch konventionelle Ansichten der Bildschirme, die auf die Kino-Helden aus dem japanischen Elektronik- und Medien-Imperium verzichten. Für den Moment reicht die Standard-Einstellung völlig aus, zumal der für die erste Fahrt bereitstehende Prototyp sowieso ohne die meisten Gimmicks des Showcars auskommen muss. Also nach der Authentifizierung per Schlüsselkarte (funktioniert im echten Leben natürlich per Smartphone) den rechten Lenkstockhebel kurz nach unten angetippt, was Fahrstufe D aktiviert – und los. Unverzüglich generieren die beiden, je 200 kW starken permanenterregten Synchronmaschinen an Vorder- und Hinterachse erheblichen Schub, obwohl sich die 4,90 Meter lange Limousine mit einem Gewicht laut Hersteller von 2.350 kg des Leichtbaus eher unverdächtig gibt.

Also eher ein viertüriges Sportcoupé? Eher nicht, denn der Antrieb brät den Insassen nicht direkt eins über, sondern entfaltet Leistung und Drehmoment angenehm linear, ohne dabei seine Kraft kleinzureden. Überhaupt soll der Vision-S eher ein komfortorientiertes Fahrzeug mit einem besonders geräumigen Innenraum sein. Nur: Beides trifft nicht zu. Also ein knallhart abgestimmtes Fahrwerk und beengte Platzverhältnisse? Eins nach dem anderen. Zuerst das Raumangebot: Das bewegt sich in etwa auf dem Niveau möglicher Konkurrenten wie Mercedes EQE und Audi E-Tron GT, wenngleich diese beiden etwas länger ausfallen, Letzterer zudem einen kürzeren Radstand aufweist. Der beträgt beim Sony 3,03 Meter. Fahrer und Beifahrer können sich also nicht über zu wenig Bewegungsfreiheit beschweren, Fondpassagiere höchstens darüber, dass sie beim Einsteigen den Kopf arg einziehen müssen.

Unter dem riesigen Panorama-Glasdach hingegen lassen sich auch Ü-1,90-Meter-Menschen gut verräumen. Zudem genießen sie den Komfort von Einzelsitzen. Zurück nach vorn links, zurück auf die Teststrecke von Magna Steyr in Graz, deren Entwickler beim Vision-S maßgeblich mitgewirkt haben. Bereits beim Überfahren sachter kurzer Bodenwellen fällt auf, dass die Luftfederung etwas spät anspricht, dafür der Aufbau rasch in Bewegung gerät, was in dieser Abfolge irritierend wirkt. Nun gut, es sei dem Prototyp zugestanden. Andererseits wirkt der Vision-S dann wiederum ziemlich ausentwickelt, sobald du ihn in die wenigen Ecken der Teststrecke wirfst.

Bitte dran lenken

Vor allem die Abstimmung der Lenkung begeistert: schön ausbalanciertes Handmoment, harmonisches Ansprechen, linearer Lenkwinkelaufbau, klare Rückmeldung – klasse! Du fasst also schnell Vertrauen, gibst Strom, registrierst dabei, dass die Kraftverteilung weder Leistungsunter- noch -übersteuern verursacht, sondern die Limousine akkurat auf Linie hält.

Na dann: Lastwechsel provozieren. Der Sony (fühlt sich beim Schreiben im Automobil-Kontext merkwürdig an) drückt sein Heck sacht in das Fangnetz der besonnen regelnden Stabilitätskontrolle, verliert kaum an Tempo. Na, was jetzt? Doch ein Sportgerät? Eine Entscheidung darüber scheinen die Projektverantwortlichen noch nicht getroffen zu haben. Sollte es allerdings eher in die dynamische Richtung gehen, bräuchten die Sitze mehr Seitenhalt. Dafür verfügen sie schon jetzt über: Lautsprecher. Das mag einerseits nicht so wirklich überraschen, ist andererseits so aber tatsächlich ungewöhnlich und Teil des 360-Grad-Audiosystems des Showcars – und übrigens von den Sony-Spezialisten am Standort Stuttgart mitentwickelt.

Ebenfalls nicht überraschend für die Marke: die großzügige Verwendung von Displays, insgesamt sechs Stück. Eines zwischen den Sitzen als Touchscreen zur Bedienung der Klimaanlage und um durch die Menüs des darüber angeordneten Zentralmonitors zu führen. Das dort ausgewählte Menü kann einfach zum Beifahrer rübergewischt werden, soll der sich doch mit der Auswahl der Themenwelt, der Eingabe des Navigationsziels oder was auch immer rumschlagen. Ebenso leicht kann natürlich zurückgewischt werden. Das Display hinterm Lenkrad hält dagegen für den Fahrer notwendige Informationen in angenehm reduzierter Optik bereit, wie überhaupt der Vision-S sich optisch nicht aufdrängen mag.

Bitte mal zurückblicken

Ganz links und ganz rechts: die ergonomisch clever positionierten, großen Monitore der digitalen Außenspiegel, die sich hier so viel besser nutzen lassen als die des Audi E-Tron.

In den Spiegeln entfernt sich gerade die Kreisbahn, das Ende der Geraden naht, also bremsen. Hier habe man sich den Porsche Panamera als Maßstab genommen, sagt Sony – eine echte Herausforderung. Das Pedalgefühl jedenfalls stimmt; klar definierter Druckpunkt, kurzer Weg. Und je mehr Runden du mit dem Vision-S drehst, umso bedauerlicher erscheint das unentschlossen abgestimmte Fahrwerk im aktuellen Entwicklungsstand. Für die große Reise fehlt es definitiv an ausgewogenem Federungskomfort. Wie lange die Reise gehen darf? Eine Reichweite von über 500 Kilometern strebe man an, sagt der Hersteller, verrät aber nichts zu Akku-Kapazität und Ladeleistung.

Level-4-fähig, Level 3 ginge sofort

Vor allem aber will der Vision-S von Beginn an autonom fahren können, die Sensorik soll Level-4-tauglich sein. Level 3 auf Autobahnen ginge schon jetzt – und Sony bleibt den Beweis nicht schuldig. Ein weiterer Prototyp rollt heran, hier ist allerdings nur der Beifahrersitz frei. Auf einem dafür freigegebenen Abschnitt der Autobahn A 2 Richtung Nordosten rollt der Vision-S tatsächlich ohne Zutun des Fahrers mit bis zu 130 km/h vor sich hin, zeigt im jeweiligen Außenspiegel-Display an, wann ein Spurwechsel möglich ist, den der Fahrer dann durch Betätigen des Blinkerhebels einleiten kann. In dieser Momentaufnahme funktioniert die Technik zuverlässig, wie überhaupt das gesamte Fahrzeug durchdacht, zudem schlicht-modern wirkt.

Wenn also alles schon sehr ordentlich funktioniert: Wann geht dann der Vision-S in Serie? Überhaupt nicht. Sony hat sich für den Einstieg ins Autogeschäft nun lieber mit Honda zusammengetan. Gut möglich jedoch, dass sich im ersten Fahrzeug dieses Joint Ventures (das Concept Car Afeela debütierte Anfang 2023 auf der CES – wo sonst) die eine oder andere Idee aus dem Vision-S wiederfindet. Vielleicht sogar Spiderman und die Ghostbusters.