40 Jahre Seat Ibiza

Unterwegs in 5 Generationen des Ibiza

Stadtkind, Rallye-Meister, Diesel-Sparer: Der Ibiza hat viele Gesichter und Geschichten. Wir nehmen uns alle fünf Generationen auf einer Runde durch Barcelona vor.

Seat Ibiza Event Foto: Seat 49 Bilder

Bei Seat zu fragen, wie groß die Rolle des Ibiza in der eigenen Markenhistorie ist, wäre in etwa so, wie wenn man frischgebackene Eltern fragt, ob sie ihr Erstgeborenes lieben. Denn genau das ist der Ibiza: der erste richtige eigenständige Seat. Nachdem man 34 Jahre lang ausschließlich Fiat-Modell in Lizenz gebaut hatte, debütierte 1984 der Ibiza. Drei Jahre zuvor löste man die lange Kooperation mit den Italienern auf, was nicht ganz ohne Trennungsschmerzen verlief, schließlich zogen die Italiener die Spanier mit ihrem leicht veränderten Fiat Ritmo namens Seat Ronda vor Gericht. Seat gewann den Rechtsstreit und konnte ab da eigenständig entwickeln und produzieren. Gleichzeitig kooperierte man aber bereits kurz nach der Trennung von Fiat mit VW. Dennoch entstand der erste Ibiza ohne VW-Basis und wurde mit bekannten Partnern entwickelt: Porsche kümmerte sich um die Motoren, Karmann half beim Interieur und der Karosseriestruktur und Giugiaro war für das Design verantwortlich, das er in seinem für die 80er-Jahre typischen, freundlichen Kastenstil entwarf.

Mit aufbrausendem Temperament

Die Karosserie lässt im Innenraum vorne rechts nicht wirklich genug Platz für Personen über 1,80 Meter, was zu einer leicht nach vorn gebeugten Sitzhaltung nötigt. Man muss dem 1,5-Liter Seat-System-Porsche-Vierzylinder ein paar Anlasserumdrehungen zugestehen. Richtig, ist ja ein Vergaser, ein zwei kurze Gaspedalpumper vor dem Starten hätten sicherlich geholf…, ah da ist er ja schon. Die Drehzahlnadel tanzt und mit reichlich unruhigem Leerlauf grummelt sich der 1461 Kubikzentimeter große Vierzylinder warm. Der erste Gang liegt irgendwo links, und oben. Ein wirkliches Einrastgefühl gibt es nicht, aber wird schon passen. Es passt. Nun noch die Motordrehzahl leicht anheben, ups zu viel. Der sehr kurzhubige Vierzylinder, der von einem einzelnen Weber-Vergaser mit Luft und Kraftstoff versorgt wird, ist so aufbrausend wie ein aufgebrachter spanischer Politiker im Fernsehinterview. Rangiert wird mit einzelnen Gasstößen, wie im Fahrerlager beim Histo-Cup am Ring. Dafür treibt er den nur 920 Kilogramm schweren, 3,64 Meter langen Ibiza mit amtlicher Vehemenz von 85 motivierten PS nach vorn. Das Fünfgang-Schaltgetriebe lebt den Gegensatz: kurze Abstufung, lange Schaltwege. Trotzdem ist der Ibiza mit seinem aufbrausendem Naturell und dem rotzigen Ansauggeräusch ein echter Entertainer, schon bei niedrigstem Tempo. Die servolose Lenkung verlangt Einsatz, belohnt aber mit Fahrbahngefühl. Das Fahrwerk hält den Wagen, nun, zwar nicht wahnsinnig sicher, aber zumindest ohne große Rollneigung in der Spur, schließlich ist es einfach hart. Geblinkt wird nicht via Lenkstockhebel, sondern mit einem großen Kippschalter an der Bedienkonsole hinter dem Lenkrad. Ungewohnt aber zumindest intuitiver als die Lösung mit berührungssensitiven Tasten im gelifteten Tesla Model 3. Bis 1993 produzierte man vom Ibiza I und seinem Facelift stattliche 1.284.648 Exemplare. Eine gelungene Unabhängigkeitserklärung, auf der die zweite Generation aufbauen sollte.

Erstmals mit VW-Unterwäsche

Bereits 1986 hatte VW die Aktienmehrheit, 1990 verleibte man sich Seat komplett ein. Ergo arbeitete man für die zweite Ibiza-Generation enger zusammen. Auf der Plattform des Polo 6N basierend kam der neue Ibiza 1993 weitaus moderner daher, während man für das Design wieder Giugiaro beauftragte. Im Innenraum herrschen die 90er. Hartes, glänzendes Plastik dominiert, die gut konturierten Stoffsitze tragen psychedelische Muster in abgefahrenen Farben. Unter der Haube dominiert Wolfsburg mit Motoren von 1,0 bis 2,0 Liter Hubraum. Gegen den Ruf der billigen VW-Alternative setzte das Seat-Management auf die Motorsport-Karte. Nachdem man bereits im Rallyesport mit der ersten Ibiza-Generation, Marbella und Toledo auf kleiner Flamme aktiv war, sollte der Ibiza das Engagement auf die nächste Stufe heben. Auf den Ibiza Copa, ein seriennaher, 115 PS-starker Rallyewagen für einen eigenen Markenpokal, folgt das Ibiza Kit Car für die Zwei-Liter-Weltmeisterschaft, die frontgetriebene Fahrzeuge mit Saugmotoren verlangte. Von 1996 bis 1998 gewann der spanische Hochdrehzahl-Schreihals dreimal die Meisterschaft. Damit auch auf der Straße etwas von diesem Engagement ankam, legte Seat mehrere Sportmodelle auf. Angefangen beim GTI, der auch die Basis für den Ibiza Copa stellte. Zwar weist das Seat-Museumsexemplar stattliche 192.000 Kilometer auf dem Tacho aus, fühlt sich aber dafür überraschend frisch an, wenn man vom etwas leierigen Fünfganggetriebe absieht. Sein Zweiliter-Achtventil-Vierzylinder ist zwar kein technisches Highlight, seine 115 PS reichen aber aufgrund der geringen Gegenwehr, die ihm der nur 1.010 kg schwere Ibiza entgegensetzt für fast 200 km/h Spitze und 10 Sekunden für den 0-100-km/h-Sprint. Im Charakter könnte er sich jedoch kaum mehr vom Ibiza I unterscheiden. Von der Einspritzung und der langhubigen Auslegung gezähmt, bringt er vor allem viel Drehmoment mit, läuft ruhiger, nimmt gesittet Gas an. Drehfreude? Naja. Trotzdem unterliegt ihm eine angenehme Spritzigkeit im Fahrgefühl, ausgehend vom geringen Gewicht und der recht direkten Lenkung und der passenden Untermalung durch den brummigen Auspuff. Wie sein Vorgänger ist er dem Federn weniger zugeneigt als dem sportlichen Abbiegen, macht es seinem Piloten mit der Servolenkung aber schon deutlich einfacher. Zwar sitzt man immer noch mehr auf als im Auto, dem Fahrspaß tut das jedoch keinen Abbruch. Später folgen noch eine drehfreudigere 16V-Variante mit 1,8-Liter-Hubraum und 130 PS und der allererste Cupra mit Zweiliter-16V-Motor und 150 PS. Die zweite Generation ist bis heute die erfolgreichste, mit 1.522.765 produzierten Exemplaren, ist für Seat aber auch in der Heimat ein Meilenstein, da mit ihm die bis heute andauernde Produktion im damals neuen Werk Martorell bei Barcelona begann.

Leistungsstark und durchdesigned

Aus diesen Werkstoren rollte ab 2002 auch der Ibiza III, genau 1.172.504-mal. Optisch distanzierte er sich deutlicher von seinem VW Bruder, dem Polo 9N, was dem neuen Chefdesigner Walter de Silva zu verdanken war. Ferdinand Piëch warb den Italiener von Alfa Romeo ab, nachdem er mit dem 156 berühmt geworden war. De Silva prägte mit dem Stilelement des zentralen Rundgrills das Seat-Design der 2000er. Die neue A0-Plattform gab neue Möglichkeiten der Motorintegration sowie bei Fahrkomfort und -dynamik. Und so mag der rote Facelift-Dreitürer mit seinem 1.6er-Motor und 105 PS gegen die Sportmodelle etwas blass aussehen, doch er steht beispielhaft für die Evolution des Ibiza und des Kleinwagens als Segment. Denn nirgendwo war der Sprung größer als zwischen Generation zwei und drei. Das beginnt bereits beim Öffnen der Türen, ihrem Schließgeräusch, dem viel geräumigeren Innenraum, der erstmals eine wirklich bequeme Sitzposition ermöglicht, bis hin zu ersten Designelementen wie den in tiefe Höhlen eingelassenen Instrumenten. Der 1.6er startet unaufgeregt, nimmt linear Gas an, das Fünfganggetriebe schaltet präzise und leichtgängig. Alles fühlt sich nach einem regulären modernen Kleinwagen an, bis einem bewusst wird, dass auch Ibiza Nummer Drei schon knapp 20 Jahre auf dem Kühlergrill hat. Der Vierzylinder hängt engagiert am Gas, wirkt lebendig und ist passend übersetzt. Leichtgängig gleitet das Lenkrad durch die Finger, das erstmals Tasten für Lautstärke und Bordcomputer trägt. Auch wenn er rund 100 Kilogramm schwerer geworden ist, fährt Nummer drei im Alltag leichtfüßiger, lenkt präziser und federt dabei noch deutlich harmonischer. Klar bleibt dabei der Charakter der Vormodelle etwas auf der Straße, doch, worum geht es bei einem Kleinwagen denn wirklich? Eben. Und wer Charakter wollte, bekam ihn auch. Bis zu 180 PS leisteten die Cupra-Modelle mit dem 1.8-Turbovierzylinder. Und während es für alle vorigen Generationen bereits Dieselmotoren gab, beschleunigten der beim Ibiza II eingeführte 1.9 TDI und der für den Ibiza III erstmals erhältliche 1.4 TDI die Dieselnachfrage. Auf der einen Seite stand der Cupra TDI mit 160 PS und 330 die Vorderräder malträtierenden Newtonmeter, auf der anderen der 1.4 TDI ecomotive mit niedrigen 99 Gramm CO₂-Ausstoß je km.

Aus der Pubertät ins Erwachsenenalter

Mit der folgenden Generation vier drückte man die Dieselverbräuche weiter. Der Dreizylinder 1.2 TDI ecomotive wurde mit sensationellen 3,4 Litern angegeben. Für mehr Komfort sorgte das erstmals erhältliche DSG-Getriebe in einigen Varianten. Neben der deutlich veränderten Optik ist es vor allem das Größenwachstum, das beim seit 2008 gebauten Ibiza IV ins Auge sticht. Auf stattliche 4,03 Meter wuchs der kleine große Spanier an, was ihm beim Platzangebot spürbar zugutekam. Erfreulich: trotz Wachstumsschub blieb das Gewicht nahezu auf dem Level des Vorgängers. Dazu erhielt der Dreitürer den sportlichen Namenszusatz SC für "Sport Coupé" und der Ibiza bekam erstmals eine Kombivariante namens ST, die knapp 17 Zentimeter in der Länge zulegte und 430 bis 1.167 Liter Gepäck verlud. Da der blaue Museumswagen mit dem gleichen 1.4er-Saugbenziner ausgerüstet war, wie der rote Ibiza III, lässt sich der Vergleich sehr einfach ziehen. Der Ibiza IV bettet seinen Fahrer noch bequemer und tiefer integriert ins Chassis. Er spricht etwas feiner auf Unebenheiten an, verliert aber auch ein Stückweit das Leichtfüßige seiner Vorgänger. Zwar lenkt er direkter an, trotzdem verliert man nie das Bewusstsein darüber, ein etwas größeres Auto zu fahren. Weiterhin angenehm: das Fünfganggetriebe, das mit einer gefühlt etwas längeren Übersetzung dem 1600er-Motor ein wenig Temperament raubt. Trotzdem gefällt der Ibiza IV mit seinem Komfortplus, dem vertraulichen Fahrverhalten und dem aufgewerteten Innenraum, der nun erstmals kleine monochrome Displays trägt. Mit dem Facelift halten erstmals TFT-Screens Einzug. Und der Sport? Den blendete Seat etwas aus, denn die Cupra-Variante mit dem kompressor- und turbogeladenen 1.4er-Vierzylinder hatte zwar Dampf, die Zwangskopplung an das zu dieser Zeit noch wenig sportliche, oft zu eigenmächtig schaltende DSG-Getriebe kostete jedoch reichlich Punkte bei Hot-Hatch-Fans. Auch sonst bot die Cupra-Variante wenig Auto Emoción. Bemutterndes, nicht deaktiverbares ESP, wenig Biss auf der Vorderachse. Zudem kämpfte auch Seat bei den zahlreichen neuen Steuerketten-Turbomotoren mit den bekannten Problemen der sich längenden Ketten. Erst mit dem Facelift schob Seat zuverlässigere Motoren und einen Cupra mit Schaltgetriebe und 1.8 TSI mit 192 PS hinterher. Dem Erfolg tat das mit knapp 1,4 Millionen gebauten Fahrzeugen jedoch keinen Abbruch.

Cupralos und vernetzt zum Dauer-Hit

Jedoch ahnte zu diesem Zeitpunkt wohl noch niemand, dass es das letzte Aufbäumen der kleinen Baureihe werden sollte. Denn mit dem Ibiza V gelang Seat ein großartiger Kleinwagen, jedoch ohne die passende Garnierung durch ein Topmodell. Doch zunächst mal die Grundlagen: Während der fünfte Ibiza nur knapp drei Zentimeter in der Länge zulegte, verbreiterte Seat die Karosserie auf der neuen MQB-A0-Plattform von VW um satte neun Zentimeter. Dementsprechend kommen im Innenraum Kompaktwagengefühle auf. Die Sitzposition profitierte erneut, das Platzangebot hinten vom gewachsenen Radstand. In keinem Ibiza findet man so viel Platz vor. Mit 355 bis 1.165 Liter Kofferraumvolumen liegt er fast auf dem Niveau des Ibiza Kombis der Vorgängergeneration. Dazu steht der neueste ganz im Zeichen moderner Entwicklungen im Bereich Fahrassistenz und Infotainment. Von Beginn an waren Touchscreens für die Mittelkonsole zu haben, die ein recht umfangreiches System bedienen. Auch der Tacho konnte erstmals optional einem Display weichen. Die Dreizylinder-Motoren neigen in turboloser Form (65 bis 80 PS) mit dem knapp 1,1 Tonnen schweren Ibiza zwar nicht zu Ausbrüchen an Lebendigkeit, mit den Turbomotoren von 95 bis 115 PS ist man dagegen gut unterwegs. Sie laufen trotz des miesen Massenausgleichs eines Dreizylinders ruhig dank Ausgleichswellen, und halten sich akustisch zurück. Dafür gibt’s reichlich Drehmoment, das entweder von einem Schaltgetriebe oder einem 7-Gang-DSG verwaltet wird. Eine gewisse Anfahrschwäche gehört bei Schalt-Modellen jedoch dazu. Topmodell: der 1.5 TSI mit 150 PS. Eine Cupra-Variante fehlt schmerzlich. Daran ändert auch das 40-jährige Jubiläum nichts, für das Seat dem Ibiza zumindest ein feines Sondermodell mit haltstarken Integralsitzen, eigenständigen Felgen und ein paar Zierteilen spendiert. Das fährt sich auch gewohnt souverän, komfortabel und mit dem 110 PS-Dreizylinder in einem gesunden Maße spritzig. Denn es ist die Fröhlichkeit und Spritzigkeit, die den Ibiza über all seine Generationen definiert. In der Moderne vielleicht weniger als noch vor 30 Jahren, dennoch sind das Eigenschaften, die wir uns auch in kommenden Kleinwagen aus Martorell wünschen. Egal, ob sie nun Seat oder Cupra heißen.