Mercedes E 60 AMG mit Technikpaket 957
Nicht mal Mercedes kennt die Stückzahl dieses Autos
Der Mercedes-Benz E 60 AMG ist die wohl geheimnisvollste E-Klasse der 1990er. In einer Youngtimer-Sonderausstellung zeigt das Mercedes-Benz-Museum, wie AMG aus einem E 50 AMG mit Technikpaket 957 einen seltenen Wolf im Taxi-Gewand gemacht hat.
20.10.2025 Gregor Hebermehl
Foto: Mercedes
14 Bilder
Eine E-Klasse, die S-Klasse-Preise aufruft? Willkommen im Kosmos des E 60 AMG. Auf Basis des 1996 präsentierten E 50 AMG vergrößerten die Spezialisten aus Affalterbach ein Jahr später den V8 auf satte 5.956 Kubikzentimeter und holten 381 PS sowie 580 Newtonmeter heraus. Damit machten sie aus der gediegenen Limousine ein Power-Paket, das in 5,9 Sekunden auf 100 km/h und das Basismodell E 50 AMG um 0,3 Sekunden schlug. Die Tachoskala endet zwar selbstbewusst bei 280 km/h – die Höchstgeschwindigkeit ist jedoch elektronisch auf 250 km/h begrenzt. Weil der E 60 AMG im Kern ein E 50 mit dem so genannten Technikpaket 957 war, hat niemand die Stückzahl der aufwendig gefertigten Power-Benz dokumentiert. Mutmaßlich entstanden weniger als 200 Exemplare. Fun Fact: AMG war damals noch im Rahmen einer Kooperation mit der Daimler AG verbunden – erst 1998 übernahm diese 51 Prozent der AMG-Anteile. Seit Januar 2005 gehört Mercedes-AMG der Daimler-AG komplett.
Technikpaket 957: Der magische Code
Das AMG-Technikpaket (Code 957) ist die Eintrittskarte zur Verwandlung. Neben dem vergrößerten Hubraum kommen ein speziell abgestimmtes AMG-Sportfahrwerk, eine neue Hinterachsübersetzung (1 zu 2,82), eine AMG-eigene Vorderbremsanlage sowie im Heck die kräftige Bremse aus dem SL 600 (R 129) zum Einsatz. Das Ergebnis: noch schärfere Gasannahme, dicker Mittendrehmoment-Buckel und ein souveränes, langstreckentaugliches Drehzahlniveau.
Handarbeit aus Affalterbach: Hinter den Kulissen
Die Karosserien lieferte Mercedes, den Rest erledigte AMG weitgehend in Handarbeit: Motor, Getriebe, Antriebsstrang, Achsen – fein eingepasst, als stünde jedes Bauteil in einer Vitrine. Dazu die AMG-18-Zoll-Leichtmetallräder, ein dezenter Bodykit und ein schwarz statt silbern glänzender Stern im Grill. Geschwärzte Embleme sind seit ein paar Jahren wieder Trend – AMG war da seiner Zeit anscheinend voraus. Optisch Understatement, technisch Oberklasse.
Innenraum: Luxus mit Signatur
Im Cockpit dominiert handwerkliche Finesse: feines Leder, Alcantara an Türtafeln und Sitzmittelteilen, Holzapplikationen, spezielle Einstiegsleisten und Teppiche – allesamt mit Modellbezeichnung. Auf der Mittelkonsole prangt eine Abdeckklappe mit der Unterschrift von Hans Werner Aufrecht, und selbst der Schalthebel trägt das AMG-Signet. Das im Durchmesser 39 Zentimeter messende AMG-Lenkrad soll kompakt in der Hand liegen; Bose-Soundsystem und AMG-Sportabgasanlage sorgen wahlweise für Konzertsaal oder V8-Oratorium.
Foto: Mercedes
Beim Editionsmodell inklusive: Eine Unterschrift von Unterschrift von Hans Werner Aufrecht.
Preisregion S-Klasse: Exklusivität hat ihren Tarif
Wer 1997 die Kreuzchen richtig setzte, zahlte 148.350 DM (inklusive Inflation heute rund 120.164 Euro) für den E 50 AMG, plus rund 50.000 DM (40.500 Euro) für das Technikpaket – machte 198.350 DM. Zum Vergleich: Der S 600 (W 140, lang) mit V12 kostete 210.220 DM. Der E 60 AMG war damit ein Under-Statement: Mit weniger Karosseriefülle und Status, aber mehr Drehmoment und Bremskraft trug er den Nerz quasi nach innen. Ein Auto für jene, die nicht wollten, was sie sich eisten konnten.
Dienstwagen der schnellen Hilfe
1997 war der E 60 AMG auch Official FIA F1 Medical Car – zusätzlich zum C 36 AMG. Bessere Referenzen für Bremsen und Hochgeschwindigkeitsstabilität gibt es bis heute kaum.
Ausstellungstipp: Youngtimer bei Mercedes
Aktuell steht ein schwarz lackierter E 60 AMG als Star der Sonderausstellung "Youngtimer" im Raum Collection 5 des Mercedes-Museums. In poppig-bunter Inszenierung zeigen die Ausstellungsmacher zehn Ikonen der 1990er- und 2000er – eingebettet in Themeninseln von "Easy Life" bis "Space" und begleitet von KI-Stationen sowie Retro-Gaming. Laufzeit: bis 12. April 2026. Geöffnet Dienstag bis Sonntag, 9 bis 18 Uhr (Kassenschluss: 17 Uhr).