Ferrari 365 GT4

Der Ferrari, den selbst Kenner oft übersehen

Zwölf Zylinder, vier Sitze, keine Show – der Ferrari 365 GT4 2+2 fährt unter dem Radar. Dabei steckt hinter dem nüchternen Blech einer der raffiniertesten Gran Turismos seiner Zeit.

Ferrari 365 GT4 2+2 (1973) Erstbesitzer Niki Lauda Foto: RM Sotheby's

Als Ferrari 1972 den 365 GT4 2+2 vorstellte, war die Modellbezeichnung Programm. "365" stand für den Hubraum pro Zylinder in Kubikzentimetern. "GT" für Gran Turismo. Und "4 2+2" für vier obenliegende Nockenwellen, zwei Sitze vorn und zwei Notsitze hinten. Doch hinter dieser Nomenklatur verbarg sich mehr als ein weiteres Coupé mit Zwölfzylinder. Der GT4 war Ferraris Versuch, sportliche Eleganz mit Langstreckentauglichkeit zu verbinden.

Colombo-V12: Der Klang der Siebziger

Im Bug arbeitet der 4,4 Liter große Colombo-V12 – ein Motor, der auch den Daytona 365 GTB/4 antreibt. Mit 340 PS bei 6.200 U/min und sechs Weber-Doppelvergasern bietet der 60-Grad-V-Motor eine Mischung aus seidenweicher Laufkultur und sportlichem Temperament. Die Kraftübertragung übernimmt ein manuelles Fünfgang-Getriebe, das mit trockener Kupplung und Hinterachs-Differenzial verbunden ist. Es beschleunigt in unter sieben Sekunden auf 100 km/h und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 245 km/h.

Technik für die große Tour

Die Technik des GT4 zeigt: Ferrari konnte auch komfortabel. Die Einzelradaufhängung an Doppelquerlenkern, Scheibenbremsen rundum und eine aufwändige Achsgeometrie sorgten für stabiles Fahrverhalten auch bei hohen Geschwindigkeiten. Die Lenkung mit Servounterstützung, das weiche Fahrwerk und der vergleichsweise leise Innenraum richteten sich an Kunden, die nicht von der Rennstrecke kamen – sondern zur Côte d’Azur wollten.

Das Design? Ein Fall für Puristen. Leonardo Fioravanti zeichnete für Pininfarina eine Karosserie mit klaren Linien, großer Glasfläche und betonter Horizontale. Der Innenraum war für damalige Verhältnisse luxuriös: volllederne Sitze, Holzapplikationen, ein umfangreiches Armaturenbrett mit sieben Rundinstrumenten und eine Klimaautomatik als Sonderausstattung. Der Kofferraum? Überraschend tief. Die Rücksitze? Besser als ihr Ruf. In Summe war der GT4 ein echter 2+2 – also kein Notquartier, sondern ein alltagstaugliches Langstreckenfahrzeug.

Marktwert: Underdog mit Potenzial

Heute zählt der 365 GT4 2+2 zu den am stärksten unterschätzten V12-Ferraris. Classic-Analytics bewertet ein gut erhaltenes Exemplar mit rund 101.200 Euro – deutlich unter den Schwestermodellen Daytona oder 400 GT, die auf derselben Plattform basieren. Der Grund: fehlende Renngeschichte, zurückhaltende Optik, aber genau das macht ihn attraktiv. Wer eine mechanisch puristische Ferrari-Erfahrung sucht, ohne in die Millionenregion vorzustoßen, findet hier sein Auto.