Mercedes 190E (W 201, 1982-1993) Kaufberatung

Alltags-Oldtimer oder schon zu schade als Daily Driver?

Der einst kleinste Mercedes sieht nicht aus wie ein Oldtimer, ist aber einer. Worauf beim Kauf eines 190/190E der Baureihe W201 zu achten ist.

Mercedes-Benz 190E (1993) Foto: Mercedes-Benz 42 Bilder

Der Name Mercedes-Benz 190 ist bekannt und führt 1982 zu Verwechslungen: "Ach ja, der 190 SL bekommt einen Nachfolger?" – Weit gefehlt, der neue Mercedes 190 ist ein ganz neuer, ein Mercedes ohne historisches Vorbild. Er soll die Modellpalette nach unten abrunden und den Einstieg in die Mercedes-Welt sein. Fortan wird er daher als Baby-Benz oder – um die Verwechslung mit dem Sportwagen auszuschließen – W 201 gerufen.

Mercedes Personenwagenprogramm 1983 Foto: Mercedes-Benz
Im Mercedes-Personenwagenprogramm von 1983 wirkt der 190E sehr modern.

Anfangs hält sich die erste Ausgabe des Neuen optisch noch zurück. Er steht schüchtern auf kleinen 14-Zoll-Rädern, die Scheibe wird von einem Einarmwischer ohne Exzenter-Hubfunktion gesäubert und an den Seiten sind schmale Zierleisten angebracht. Optisch ist aber von Anfang an erkennbar: Ein ganz großer Wurf von Bruno Sacco – und zukunftsweisend für alle weiteren Mercedes-Modelle, die sich an ihm orientieren.

Oben hui, unten noch besser

Mercedes-Benz 190E W201 Foto: Mercedes-Benz
So karg kam der Baby-Benz 1982 als 190 mit und ohne E auf den Markt.

Nicht nur außen überzeugt der neue Mercedes 190 mit seinem markanten-Design und dem hochgestreckten Hinterteil. Unter dem Blech steckt die eigentliche Sensation: "Eine Hinterachse, wie sie die Welt tatsächlich noch nicht gesehen hat." So schreibt auto motor und sport anno 1982. Fünf Achslenker pro Rad sorgen für optimalen Bodenkontakt in jeder Lebenslage. Die Raumlenker-Achse macht der Konkurrenz vor, was ein aktuelles Fahrwerkskonzept leisten kann – treibt aber auch die Entwicklungskosten in die Höhe.

Mercedes W 201, Fahrwerk Foto: Mercedes
Allen gemeinsam ist die aufwändige Raumlenker-Hinterachse des W 201 mit fünf Achslenkern pro Rad.

Damit sind wir auch schon bei dem größten Problem des 190 – er war den Interessenten oft zu teuer. Das verhinderte einen schnellen Erfolg. Der Einstandspreis beträgt stattliche 25.600 Mark. Für das gleiche Geld gibt es auch einen Mercedes-Benz 200. Die Topversion des 190 kostet rund das Doppelte – 49.300 Mark.

Motorenpalette des Mercedes 190

Mercedes-Benz 190D (W 201) Foto: Mercedes-Benz
Genügsamer Dauerläufer für Geduldige: Mercedes 190D mit 72 PS.

Mercedes 190 heißt zunächst auch: Nur Vierzylinder-Motoren. Basis sind Zweiliter-Vergaser-Motoren, die Einspritzer sind am E in der Typenbezeichnung erkennbar. Die Bandbreite reicht vom 72 PS-Saugdiesel bis zum leistungsfähigen Sechzehnventiler. Der Eine hört auf den Namen 190 D, der Andere nennt sich 190 E 2.3-16. Ohne Katalysator stehen bei ihm dank Cosworth-Zylinderkopf 185 PS bereit, Kat-gereinigt sind es immerhin noch 170 PS.

Ab 1986 steht ein Sechszylinder in den Listen. Der Mercedes-Benz 190 E 2.6 leistet 166 PS (mit Katalysator 160 PS) – ausreichend für 215 km/h und 8,2 Sekunden für den Sprint von Null auf 100 km/h. Ab 1987 kann ein 2,5-Liter-Fünfzylinder-Diesel geordert werden, der mittels Turbo auf 122 PS aufgeladen wird und den Mercedes 190 auf respektable 192 km/h beschleunigt.

Nach 6 Jahren 1 Million Mercedes 190 produziert

Mercedes 190 W 201 Foto: Mercedes
Mercedes gab 1982 den cW-Wert mit 0,3 an.

1988 ist ein bedeutendes Jahr für den Mercedes 190: Der millionste W 201 läuft vom Band und es kommt zur ersten großen Modellpflege. An den Seiten finden sich fortan die breiten Sacco-Bretter. Damit lehnt sich der kleinste Mercedes an die Coupés der W124er Baureihe an. Die Schürzen an Front und Heck strecken sich weiter in Richtung Straße und tragen zur Optimierung des cW-Wertes bei. Weitere Merkmale der Modellpflege (Mopf 1): Die Stoßfänger wachsen deutlich in ihren Ausmaßen, der Beifahrer-Außenspiegel gehört nun zur Serienausstattung und die Sitze werden deutlich verbessert. Der Innenraum erfährt leichte Retuschen und die Passagiere genießen das etwas großzügigere Raumgefühl. Doch viel Platz ist in dem Mercedes 190 immer noch nicht. Zudem ist die Rücksitzbank nicht umklappbar, da hinter ihr der Tank steht. Als Familienauto kann er seine Qualitäten also nicht ausspielen.

Neues Top-Modell des Mercedes 190 nach der Modellpflege ist der 2,5-Liter-Sechzehnventiler mit 195 PS (ohne Kat 204 PS). Für Sammler besonders interessant sind die Homologationsmodelle Evolution I und II, von denen jeweils nur 502 Exemplare gebaut wurden.

Ab 1989 hat das Sport-Engagement von Mercedes Auswirkungen auf die Serie: Die Ausstattungslinie Sportline wird eingeführt und beinhaltet eine Tieferlegung um 21 Millimeter, ein strafferes Fahrwerk, Leichtmetallräder der Größe 7x15 und Reifen im Format 205/55. Innen fallen die Sportsitze des Mercedes 190 E 2.5-16 positiv auf.

Ab 1990 nur Einspritzer – 1992 kommt Nachfolger

Mercedes-Benz 190E 1.8 Avantgarde Rosso 1993 Foto: Mercdes-Benz
Zum Schluss legt Mercedes Avantgarde-Sondermodelle auf: In Deutschland sind der 1.8 Rosso (Bild), der 2.3 Azzurro und der 2.5 D Verde erhältlich.

Im gesamten Mercedes-Personenwagen-Programm fliegen 1990 die Vergaser-Motoren raus. Der Basis-Mercedes 190 wird gestrichen und neues Basismodell ist der 190 E 1.8 mit 109 PS-Motor. 1991 erhalten alle Modelle außer 190 D und 190 E 1.8 serienmäßig ABS und zum Abschied des W201 werden 1992 noch rund 4.000 der Avantgarde-Sondermodelle verkauft. Die Farbkombinationen des Trios – bestehend aus dem metallic-blauen 190 E 2.3 Azzurro, dem dunkelgrünen 190 D 2.5 Verde und dem 190 E 1.8 Rosso in roter Perlcolor-Lackierung muten heute gewagt an.

Endgültig Schluss mit dem Mercedes 190 ist dann im August 1993, als in Bremen – im ehemaligen Borgward-Werk – der letzte Baby-Benz vom Band läuft. In Sindelfingen wurde die Produktion schon im Februar gestoppt. Insgesamt werden 1.879.629 Exemplare des Mercedes 190 gefertigt.

Nachfolger heißt "C" und endlich gibt es auch ein "kleines T"

Ab 1993 läuft der Nachfolger des Mercedes 190, der W202 vom Band. Während die interne Typenbezeichnung die logische Fortsetzung ist, wird der neue 190er der Welt als C-Klasse vorgestellt. Das passt auch besser ins Programm, schließlich heißt die 200er-Reihe nun E-Klasse und die S-Klasse ist ja ohnehin schon bekannt. Nun sind die Typenbezeichnungen auch logisch und beziffern den Hubraum.

Die C-Klasse ist innen und außen deutlich gewachsen, die Ladekante ist niedrig, der Komfort ist besser, Airbags sind Serie. Am wichtigsten ist allerdings die Einführung des T-Modells 1996. Endlich genügend Laderaum und Variabilität – das größte Manko des 190 war behoben.

Heute gehört der Mercedes 190 zu den alltagstauglichsten Klassiker, der trotz Oldtimer-Status voll alltagstauglich ist. Aus dem Alltags-Gebrauchsauto wird fast übergangslos ein Klassiker. Und der Mercedes 190 bringt alle Qualitäten mit: Er kommt aus gutem Haus, trägt einen Stern auf seiner Motorhaube, er gehört zur stilistisch wie finanziell erfolgreichen Sacco-Breitschwerdt-Ära und bringt beste Langzeit-Qualitäten mit. Daher sieht man auch heute noch so viele Mercedes 190 in gutem Zustand.

Karosserie-Check

Rost ist auch beim in Bremen gebauten Kompakt-Mercedes ein Thema, wenn auch nicht so krass wie beim W 124. Tendenziell sind saccobeplankte Modelle ab 9/1988 besser geschützt. Dafür sieht man bei ihnen durchgerostete Wagenheberaufnahmen erst nach Öffnen der Schutzkappen. Typische Rostherde sind die Kotflügelecken unter den Blinkern, die Türunterkanten, die Radläufe und leider auch die vier Hinterachsaufnahmen. Ausgeblichene, verschlissene Polster sind bei den Vielfahrerautos häufig.

Technik-Check

Die Benziner halten sich wacker bis 200.000 km, dann fangen die ersten Leiden an. Vierzylinder und Sechszylinder haben die gleichen Schwachpunkte. Dazu gehören Steuerkette, KE-Jetronic-Bauteile und die Zylinderkopfdichtung. Billige W 201 leiden oft unter Wartungsstau. Merke: Auch der kompakte 190er ist ein aufwendig gebautes Auto, Reparaturen gehen ins Geld. Die extrem robusten Diesel scheitern an der Umweltplakette.

Preise

Ein 190er gehört zu den bezahlbaren und alltagstauglichen Klassikern. Auf dem Markt sind noch viele Autos verfügbar, meist mit Vierzylinder-Benzinmotoren. Wer unbedingt einen Diesel oder einen Sechszylinder möchte, sucht etwas länger. Es empfiehlt sich, mehrere Exemplare anzusehen. Denn eine Restaurierung lohnt finanziell nicht und manche Schäden sind erst bei genauem Hinsehen erkennbar.

Ein schlichter 190E in gepflegtem Zustand kostet laut der Preisexperten von Classic-Analytics etwa 5.000 bis 7.500 Euro. Für einen 2.5 Diesel sind etwa 1.000 Euro mehr einzuplanen und ein 2.5 Turbodiesel oder 2.6 liegenbei etwa 7.000 bis 9.400 Euro. Erheblich seltener und teurer sind die 16-Ventiler: Ein früher 2.3-16 notiert bei 20.400 bis 27.400 Euro.

Bei Einführung 1982 (190) :
25.538 Mark
Bei Produktionsende 1983 (190E 1.8) :
40.365 Mark

Ersatzteile

Die Teileversorgung für den W 201 ist generell gut. Doch die Verfügbarkeit sinkt selbst bei Mercedes-Benz, und das Preisniveau steigt. Verschleißteile gibt es dank des großen Fahrzeugbestands noch in Erstausrüsterqualität im freien Autoteilehandel

Wertungen

Alltagstauglichkeit
Ersatzteillage
Reparaturfreundlichkeit
Unterhaltskosten
Verfügbarkeit
Nachfrage

Fazit

Robuste Technik und eine rostanfällige Karosserie zeichnen das Bild des 190. Motor und Antrieb halten zwar lange, fordern aber im Alter regelmäßige Wartung. Die kapriziösen 16-Ventiler sind ein Kapitel für sich. Die herausragende Qualität des Mercedes 190 ist, dass man ihm sein Alter nicht ansieht. Weder fährt er wie ein Oldtimer, noch sieht er aus wie einer. Aus dem dem damals neuen kleinen und von vielen unterschätzten Baby-Benz wurde ein ganz Großer. Ein zeitloser Klassiker, der heute auch im Alltag zu sehen ist. Zum Runterfahren ist er inzwischen jedoch deutlich zu schade.