Mercedes 300 SL (R 129) unvernünftiger Kauf

Deutschlands billigster 300 SL: Er fährt und hat TÜV

Möglichst billig sollte er sein, natürlich fahrbereit und mit reichlich TÜV. Gerne eine schräge Farbe, Leder unbedingt und Schaltgetriebe, warum nicht? So stellte ich mir meinen Traum-129er vor – nun wurde er für 5.500 Euro endlich wahr.

Mercedes 300 SL (R 129) Foto: Karl-Heinz Augustin 23 Bilder

Automatik hätte ich gerne, ich gebe es zu. Aber dann wäre er deutlich teurer gewesen, 5.500 Euro hätten nicht gereicht. Dank der vier selbstständig schaltenden Fahrstufen würde mein Mercedes 300 SL noch geschmeidiger gleiten. Der zahme Dreiliter-Sechszylinder ist ohnehin kein Ausbund an Temperament, er hat mit dem satte 1.780 Kilo schweren Roadster alle Pleuel voll zu tun, was die guten Beschleunigungswerte gar nicht so widerspiegeln.

Spätes Drehmoment: 260 Nm bei 4.500/min

Mercedes 300 SL (R 129) Foto: Karl-Heinz Augustin
Alf peilt erstmal den Ölstand des M 103.

Später ertappe ich mich dabei, die unteren Gänge des relativ lang übersetzten Fünfgang-Schaltgetriebes bis 4.500 Touren auszudrehen; das ist die späte Nenndrehzahl für das höchste Drehmoment, erst dann geht es ordentlich vorwärts. Der zierlich anmutende Sechszylinder mit nur einer obenliegenden Nockenwelle gibt auch von seiner Charakteristik her nicht gerade den Bullen. Doch nun der Reihe nach.

Ein wolkenverhangener Spätsommertag hat gerade erst begonnen, als ich meinen goldenen BMW 520i E34 starte, um mich mal wieder auf den Kiesplätzen illustrer Fähnchenhändler herumzutreiben. Ein inzwischen lieb gewordenes Ritual an freien Tagen, das nicht ohne Folgen bleibt. Diesmal will ich ausgetretene Großstadtpfade verlassen und mich ländlich orientieren. Nach 60 entspannten Kilometern in lieblicher Landschaft zwischen Donau, Iller und Günz treffe ich auf einen Händler, der um seine pittoreske Eremitage eine bunte Mischung junger und alter Autos geschart hat, Lieferwagen und Tuning-Karossen inklusive.

Fast wäre Alf am Schnäppchen vorbeigefahren

Mercedes 300 SL (R 129) Foto: Karl-Heinz Augustin
Zwischen W 140 und W 210 parkt der R 129 im seltenen Farbton Impala Metallic.

Fast wäre ich vorbeigefahren, weil mein Beuteschema so gar nicht erfüllt wird, aber in der letzten Reihe blitzte er auf: mein SL in 441 Impala-Metallic. Schon diese schräge Farbe, kombiniert mit Stoffverdeck in Dunkelbraun, Code 8023, ist für einen R 129 mehr als ungewöhnlich, was mich sofort für ihn einnimmt, üblich sind Brillantsilber, Blauschwarz und das feurig leuchtende Almandinrot. Den sehe ich mir näher an, so mein spontaner Entschluss, zumal ich schon länger mit einem 129er liebäugele. Denn der autobegeisterte Mensch strebt nun einmal meist nach SL oder 911. Ich bin eher der SL-Typ, habe den Sechszylinder lieber aufrecht stehend und in Reihe als gut zugängliches Zugpferd vorne unter der langen Haube.

Erste Serie, exaltierte Farbe: 441 Impala

Mercedes 300 SL (R 129) Foto: Karl-Heinz Augustin
Erster Eindruck vom SL: äußerlich etwas angeschlagen, aber sonst nicht schlecht.

Der Händler schlossert konzentriert unter seiner Freilicht-Hebebühne an den Bremsen eines BMW Fünfer E39. So kann ich mir, langsam um den Mercedes kreisend, in aller Ruhe ein Bild von ihm machen. Es ist ein ganz frühes Exemplar von 1990, auf einem improvisierten Preisschild steht neben ein paar beinahe verblichenen Feldern, beschriftet mit "TÜV 05/2021" und "original 136.057 km", groß die Zahl "6.500". Ich, der Schnäppchen-Wünschelrutengänger, fühle mich wie elektrisiert, rotiere mit erhöhter Drehzahl um den Roadster. Auf dem Kofferraumdeckel prangt der magische Schriftzug "300 SL", ein klares Bekenntnis des Erstbesitzers zur heiligen W-198-Tradition und zum ehrlichen Basismodell der 129er-Baureihe. Der muss im März 1990 schon ein älterer Herr oder eine ältere Dame gewesen sein.

Die Farbe von subtiler Eleganz spricht dafür, auch innen dieses charmante Cremebeige, dazu Schaltgetriebe, ein beruhigender Feuerlöscher und die zarte Motorisierung. Dellen an den Kotflügeln, unzählig viele – sorglos im Farbton Impala statt im originalen Kontrastlack 8477 Chinchilla übersprühte – Kratzer an Sacco-Brettern und Stoßfängern zeugen von langer Haltedauer. Auch der geringe Kilometerstand ist ein Indiz für Cabrio-Erstbesitz im Herbst des Lebens. Meine Ahnung wird sich beim Blick in die Papiere bestätigen, es war eine Dame, sonst hätte der 300 SL wohl auch noch Stoffpolster.

Bevor der Preis meine Brillengläser endgültig tiefrosa färbt, muss ich noch einmal tief durchatmen. Dies hier ist keiner von meinen 500-Euro-Youngtimern, der im Ernstfall des Versagens nur ein schmerzhaftes Abschreibungsobjekt wäre, der SL kostet zwölf Mal so viel. Als 300 SL ist er wenigstens noch kein so vollgepacktes CAN-Bus-Elektronikmonster.

Händler: "komische Farbe, Schaltgetriebe"

Mercedes 300 SL (R 129) Foto: Karl-Heinz Augustin
Bei einem SL wirkt das Schaltgetriebe mit seinem Gummiknüppel eher abtörnend und preismindernd.

Meine Entschlossenheit schäumt über, irritiert lächelnd überreicht mir der sympathische Händler ein Trumm von Schlüsseln für die Infrarot-Schließanlage, eine Sonderausstattung für 1.003,20 Mark, die ich mir damals ebenso wie die Alarmanlage für 974,70 Mark garantiert gespart hätte. Dafür hätte ich mir lieber Notsitze hinten bestellt, die das gähnend leere Abteil hinten attraktiv möblieren. "Der SL steht schon länger", erzählt der Händler im lockeren Tonfall. "Interessenten stören sich an der komischen Farbe und am Schaltgetriebe. Aber der Wagen hat keinen Rost, wir können ihn uns gerne auf der Bühne von unten ansehen. Viele Schönheitsfehler muss man mit Smart Repair beseitigen, aber dafür ist er billig, über den Preis lässt sich noch reden."

Wie fährt der 5.500-Euro-SL?

Mercedes 300 SL (R 129) Foto: Karl-Heinz Augustin
Der Motor fühlt sich seidig an, das Fünfganggetriebe anfangs eher zäh.

Mein SL, so nenne ich ihn jetzt schon, springt sofort an, die Hydrostößel bleiben leise, Motoröl und Kühlwasser habe ich vorher gecheckt. Auch mit der Taschenlampe kurz in den Ausgleichsbehälter und in das Öleinfüllloch geleuchtet, ob hellbraune Emulsionsablagerungen zu sehen sind. Ich schiebe einen Horror vor defekten Zylinderkopfdichtungen, die gerade beim M-103-Motor altersbedingt keine Seltenheit sind und deren Ersatz 1.200 Euro kostet. Einer ausgiebigen Probefahrt steht nun nichts mehr im Wege, eine Stunde habe ich Zeit.

Der Motor fühlt sich seidig an, das Fünfganggetriebe anfangs zäh. Der erste Gang will behutsam eingelegt werden, bei betriebswarmem Getriebe wird alles besser. Auch diese seltsame zähe Spannung im Kupplungspedal, sie verschwindet bald ganz. Nach 20 Kilometern probiere ich auf einem Parkplatz das beim 129er serienmäßige elektrohydraulische Verdeck aus. Die Batterie ist nun sicher ausreichend geladen, um diesen Kraftakt ohne Zusammenbruch zu überstehen. Es funktioniert in knapp einer Minute, einmal auf, einmal zu, dann wieder auf. Nein, Fehlanzeige! Es streikt, nichts tut sich mehr.

Es sind wohl mehr als 136.057 km

Mercedes 300 SL (R 129) Foto: Karl-Heinz Augustin
Lenkrad ohne Airbag, mechanischer Kilometerzähler: Merkmale eines ganz frühen R 129.

Also cruise ich vorerst mit dunkelbrauner Mütze. Dem Händler biete ich nachher 5.500 Euro, ich brauche ein wenig finanziellen Spielraum, um die Kupplungs- und Verdeckhydraulik glimpflich abzufedern. Ab und an setzt der Kilometerzähler aus, es sind wohl mehr als 136.057, es ist mir ziemlich egal, ein Wartungsheft existiert nicht, aber eine Betriebsanleitung mit vielen handschriftlichen Notizen.

Das besondere SL-Gefühl von Luxus, Komfort und dezenter Sportlichkeit – ich spüre es auch, wenn mir nicht der Fahrtwind um die Nase weht. Der 300 SL strömt mit seinem Interieur aus Wurzelnussfurnier und Leder etwas Mondänes aus, er ist wegen seiner Zeitlosigkeit stets die Eintrittskarte in die Hautevolee. Ein SL macht arriviert, er erzählt von Bungalows mit Doppelgaragen, von Frauen, die Perlenketten und Pumps tragen, von Männern mit rahmengenähten Budapestern. Bürgerliche Youngtimer habe ich genug, ich möchte einen SL, den leuchtenden Stern unter den Mercedes.

Es muss sein: Alf kauft den SL

Mercedes 300 SL (R 129) Foto: Karl-Heinz Augustin
Für 5.500 Euro SL-Besitzer: Alf fährt stolz vom Hof.

Ich fahre rechts ran, inzwischen scheint die Sonne. Abrupt beende ich die euphorischen Gedanken meines Wolkenkuckucksheims vom sozialen Aufstieg und sage dem Händler per Smartphone zu. Ich will, dass mein SL sofort mir gehört, er akzeptiert, ohne zu zögern, die gebotenen 5.500 Euro. Als Sicherheit gilt mein BMW 520i, ich ließ ihn zurück auf dem Platz. Der Schlüssel steckt, falls er im Weg steht und rangiert werden muss. Nun darf ich ihn fast bis Sonnenuntergang fahren und nehme ihn noch in der Dämmerung mit zu mir. Der große rote Schalter auf der Mittelkonsole, mein erklärter Angstgegner, fordert mich heraus. Augen zu und nach hinten ziehen. Ich höre, wie es rund um mich arbeitet, schon nach gut einer halben Minute ist über mir nur noch der blaue Himmel. Ich muss gestehen, erst offen ist so ein SL richtig souverän – oder mit dem extravaganten Coupédach, das morgen auf mich wartet. Und das alles für 5.500 Euro, damals brachte der Verzicht aufs Hardtop einen Minderpreis von 2.907 Mark.