Mercedes 300 SL Roadster (W 198) mit doppelter FIN
Überraschende Wendung im Prozess um zwei 300 SL
Zwei Oldtimer, eine Fahrgestellnummer und die spannende Frage, welcher 300 SL Roadster (W 198), Baujahr 1957, das Original ist, führte zu zwei Verhandlungsterminen vor dem Stuttgarter Landgericht. Im zweiten Termin am Donnerstag (18.1.2024) kam es zu einer überraschenden Einigung mit einem teuren Zugeständnis.
18.01.2024
Markus Schönfeld, Andreas Of-Allinger
Foto: RM auctions
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Wie fährt der Flügeltürer? Wir waren mit der Oldtimer-Legende unterwegs.
Foto: Malte Buls
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Einen Flügeltürer erkennt jedes Kind. Er war in den 1950er-Jahren eines der teuersten und schnellsten Autos aus deutscher Produktion.
Foto: Malte Buls
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Unter der Motorhaube mit den zwei markanten Wölbungen („Powerdomes“) steckt der Dreiliter-Motor mit Trockensumpfschmierung, um 45 Grad nach links zur Seite geneigt.
Foto: Malte Buls
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Das große dürre Zweispeichenlenkrad wäre heute nicht nur für einen Sportwagen ungewöhnlich. Damals war es nötig, weil der 300 SL keine Servolenkung hat. Die Sitzposition ist entspannt, der Platz reicht auch für einen 1,90 Meter großen Redakteur.
Foto: Malte Buls
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Einen Tag lang Flügeltürer fahren gehört zu den schönsten Aufgaben, die der Beruf des Autojournalisten mit sich bringen kann. Dass der 300 SL ein beliebtes Auto bei Oldtimer-Rallyes wie der Mille Miglia ist, ist gut zu verstehen: Er ist schnell, bis auf die Hitze im Cockpit komfortabel und er bietet genügend Platz für die Besatzung plus Gepäck. Trotz des enormen Wertes reagieren viele Menschen positiv auf das Auto.
Foto: Malte Buls
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Seine Premiere hatte der Mercedes-Benz 300 SL im Februar 1954 in New York.
Foto: Daniel Byrne
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Rennfahrer Juan Manuel Fangio, Karl Kling und der Pressechef der Daimler-Benz AG, Artur Keser, im Jahr 1954 bei der Vorstellung des 300 SL an der Rennstrecke von Monthléry bei Paris.
Foto: Mercedes-Benz Archiv
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Trotz des aufwändig in Handarbeit gefertigten Gitterrohrrahmens, der aus dünnen Stahlrohren zusammengeschweißt wurde, war das Coupé mit 1.310 Kilogramm verhältnismäßig schwer.
Foto: Mercedes-Benz Archiv
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Mercedes-Benz setzt den 300 SL erfolgreich bei Langstreckenrennen ein. John Cooper Fitch und Kurt Geßl gewinnen am 1. Mai 1955 mit der Startnummer 417 die Mille Miglia.
Foto: Mercedes-Benz Archiv
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Oliver Gendebien gewinnt 1955 mit einem 300 SL die Rallye Lüttich-Rom-Lüttich.
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Das 3. Internationale ADAC-1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring, gewinnen 1957 Fritz Riess und Walter Schock (Startnummer 46, vorn). Arne Lindberg/Erich Waxenberger (Startnummer 43) belegen den dritten Platz.
Foto: Mercedes-Benz Archiv
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Kein anderer Sportwagen hat eine Aura wie der Mercedes-Benz 300 SL, kein Detail der Automobilgeschichte besitzt einen Wiedererkennungswert wie die Flügeltüren des Coupés.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Das Rückgrat des 300 SL bildet ein besonders verwindungssteifer Gitterrohrrahmen, der dem Rennwagen von 1952 entliehen ist. Darüber schwingen sich die Karosserierundungen, unverwechselbar gestaltet von Chefstilist Friedrich Geiger.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Auf der Zeichnung oben links gut zu sehen: Für den Roadster änderte Mercedes den Gitterrohrrahmen, so dass der Einbau konventioneller Türen möglich wurde. Links unten sind Motor und Getriebe zu sehen, danaben die Radaufhängungen.
Foto: Mercedes-Benz Archiv
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Die Karosserie wiegt nur 185 Kilogramm. Auf diesem Bild, das 1958 im Werk Sindelfingen aufgenommen wurde, tragen zwei Mann die Karosserie eines 300 SL.
Foto: Mercedes-Benz Archiv
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Lange Zeit galt „Sport Leicht“ als Auflösung des Buchstabenkürzels. Doch anlässlich des 60-jährigen Modelljubiläums wurde im Werksarchiv ein Dokument entdeckt, in dem die Abkürzung als „Super Leicht“ aufgelöst wurde.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Der 300 SL ist Mitte der 50er-Jahre „ein Fahrzeug, das den Namen Mercedes-Benz wieder vergoldet“.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Der zweisitzige Sportwagen folgte damit ab dem ersten Entwicklungsschritt einer klaren Strategie: Der 300 SL sollte ein neues Markenimage prägen und damit den wichtigen US-Markt zu öffnen.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Trotz des horrenden Kaufpreises von 29.000 Mark wurden allein vom Coupé insgesamt 1.400 Exemplare gebaut.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Gute Exemplare werden heute für Preise von rund 1,5 Millionen Euro gehandelt. Allerdings variieren die Preise stark je nach Geschichte und Zustand des angebotenen Autos.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Das Lenkrad ist klappbar, um den Einstieg zu erleichtern. Eine Servolenkung gibt es nicht, deshalb ist das Lenkrad so groß.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Der Kunde hatte die Wahl zwischen Stoff- und Ledersitzen.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Das Schaltgetriebe hat vier Gänge.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Unter der Kofferraumhaube wohnt das Ersatzrad. Größeres Gepäck muss hinter die Sitze.
Foto: Bonhams/P. Litwinski
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Der Roadster bekam eine andere Hinterachse, Hochkant-Scheinwerfer und ab 1961 Scheibenbremsen.
Foto: Frank Herzog
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Die offene Version gilt wegen der besseren Belüftung des Cockpits und der gutmütigeren Fahreigenschaften als das einfacher zu fahrende Auto.
Foto: Frank Herzog
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300 SL werden heute noch gern bei Oldtimer-Rallyes gefahren.
Foto: Frank Herzog
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Im Dezember 2018 erzielte ein Flügeltürer (Baujahr 1955) aus der Sammlung eines großen Wiener Mercedes-Händlers in der Auktion von Dorotheum einen Verkaufspreis von 1.492.600 Euro.
Foto: Dorotheum
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Prominente wie etwa der Hollywood-Schauspieler Clark Gable fuhren 300 SL. Sein ehemaliges Auto wurde im Januar 2018 für umgerechnet 1,8 Millionen Euro versteigert.
Foto: Barrett-Jackson
Rückblick: Beide SL-Besitzer sind überzeugt, dass ihr Auto original ist. Gutachten und Zertifikate können beide Besitzer vorweisen, die des jeweils anderen waren allerdings angezweifelt worden. Am 6. Juli 2023 – dem ersten Prozesstag – war die Suche nach einem Vergleich noch gescheitert. Kläger und Beklagter konnten sich damals nicht auf einen Gutachter einigen.
Der Kläger hatte im ersten Termin laut Stuttgarter Zeitung drei Dinge gefordert: Dass die Echtheitsfrage gerichtlich geklärt werde, dass die Gegenpartei nicht weiter behaupte, das Original zu besitzen und 120.000 Euro Schadenersatz.
Vergleich mit teurem Zugeständnis
Während des zweiten Verhandlungstermins war von Schadenersatz nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: Der Kläger erklärte sich im Verlauf des Verhandlungstermins bereit, die Kosten des Rechtsstreits zu übernehmen. Ein teures Zugeständnis, denn allein die Anwaltsgebühren dürften sich auf einen mittleren fünfstelligen Betrag belaufen. Dazu kommen Gerichtskosten und unter Umständen ein Gutachten.
"Eine rein kaufmännische Entscheidung", kommentierte dessen Anwalt die Entscheidung seines Mandanten. Dem Beklagten riet er: "Sie bekommen die Kosten des Verfahrens und ein kostenloses Gutachten. Mehr können wir Ihnen nicht bieten."
Ein Gutachter soll beide 300 SL untersuchen
Nach einer Beratungspause verkündete der Anwalt des Beklagten: "Wir können dem Vergleich zustimmen." Beide Fahrzeuge sollen so bald wie möglich einem Gutachter vorgeführt werden. Der soll feststellen, welcher der beiden Roadster das Original und welcher die Fälschung ist. Der Besitzer der Fälschung bezahlt das Gutachten, so die im Vergleich getroffene Vereinbarung. Gibt es kein eindeutiges Ergebnis, bezahlt jede Partei die Hälfte der Gutachterkosten.
Bei dem Streit geht es um Millionen-Summen. Mit nachvollziehbarer und originaler Historie ist ein 300 SL Roadster gern 1,6 Millionen Euro wert. Eine Fälschung würde den Wert des Autos auf etwa 300.000 Euro mindern.
Vergleichbare Prozesse gab es in der Oldtimer-Geschichte bisher nicht. Doch doppelte Fahrgestellnummern von im Preis explodierten Sammlerstücken tauchen immer häufiger auf.
Durch den Vergleich vermeiden beide Parteien ein langes Verfahren, das Jahre hätte dauern können und juristisch spannend geworden wäre. Die Stuttgarter Zeitung schrieb nach dem ersten Verhandlungstag: "Die juristischen Fragen, die verhandelt werden, sind nach Ansicht von Richter Ingo Fabian so wenig erschlossen, dass ein Gang durch die Instanzen bis hinauf zum Bundesgerichtshof (BGH) vorgezeichnet erscheint."
Restaurator Kienle an beiden Autos beteiligt
Der Prozess ist allerdings noch aus anderen Gründen interessant. Zum einen, weil der silberne, einst aus Thailand importierte 300 SL Roadster dem Ex-Mercedes-Manager und Ex-Präsident des 300-SL-Clubs Erich Bertagnolli (84) gehört. Zum anderen, weil genau dieser SL 1999 bei Klaus Kienle restauriert wurde, der sich als weltweit bekannter Flügeltürer-Restaurator in einem anderen Fall den Vorwürfen der Fälschung stellen muss.
Noch kurioser: Auch den roten 300 SL Roadster hatte Kienle in den Händen. Den kaufte Udo Wünderlich (53) erst 2018 in Monaco und schickte ihn anschließend zum Spezialisten nach Heimerdingen bei Stuttgart. Erst als er den roten SL dann 2019 in seinem Landkreis Lübbecke zulassen will, fällt die doppelte Fahrgestellnummer auf.
Anmerkung der Redaktion: Bei dem Aufmacher-Bild handelt es sich nicht um die beiden im Artikel genannten Fahrzeuge.