Mercedes-Benz 300 SLR Uhlenhaut-Coupe

Wir fuhren das teuerste Auto der Welt

Vor 20 Jahren durfte der 135-Millionen-Mercedes noch auf die Straße: Motor-Klassik-Chefredakteur Hans-Jörg Götzl fuhr den nur 893 kg schweren 8-Zylinder mit 300 PS.

Mercedes 300 SLR Uhlenhaupt Coupé Foto: Hans-Dieter Seufert 29 Bilder

Gerüchte gab es schon länger aber erst am 19.5. 2022 hat Mercedes bestätigt, dass man am 5. Mai eines von zwei 300 SLR Uhlenhaut Coupés während einer zusammen mit RM Sotheby's durchgeführten Auktion unter ausgewählten Kaufinteressenten an einen privaten Sammler versteigert hat. Der Preis liegt bei 135 Millionen Euro. Damit ist der Achtzylinder-Flügeltürer das teuerste jemals verkaufte Auto. Vor 20 Jahren war er das noch nicht und Motor-Klassik-Chefredakteur Hans-Jörg Götzl durfte das Auto anlässlich des 50. Geburtstags des 300 SL bei Mercedes ausleihen und fahren. Hier ist seine Geschichte von 2002.

Fahrbericht Mercedes 300 SLR Uhlenhaut-Coupé

Seit einem halben Jahrhundert steht die Buchstabenkombination SLsportlich und leicht – für außerordentliche Automobile. Doch der Aufregendste von allen, das Meisterstück der Kollektion, hat mit den Verwandten nur Namen und Silhouette gemein: Die schönste aller SL-Hüllen spannt sich über reinrassige Formel 1-Technik.

Mercedes 300 SL W 194 (1952) Foto: Mercedes-Benz
1952 begann die SL-Legende - die Flügeltürer siegten in Le Mans, Bern, am Nürburgring und Mexico.

Hoppla , jetzt wäre der Bub beinahe von seinem Mountainbike gefallen – verständlich bei den schweren Explosionen die aus den ungedämpften Auspuffstummeln an unserer Beifahrerseite donnern. Obwohl das Zwischengas für den ersten Gang den Drehzahlmesser lediglich auf 3000 trieb, reicht der Krach aus, um in dem engen Tunnel die Ziegelsteine von der Decke fallen zu lassen. Als die Ampel auf Grün schaltet und wir im Stuttgarter Stadtverkehr verschwinden, schaut uns der junge Mountainbiker noch lange fassungslos hinterher.

Warum der 300 SLR Uhlenhaut-Coupé heißt

Er ist vermutlich gerade auf dem Weg von der Schule nach Hause zum Mittagessen, wo er aufgeregt von seiner Begegnung berichten wird: "Es war ein Mercedes, Vater, er hatte einen Stern im Kühlergrill – und er war silbern und unglaublich schön und unwahrscheinlich laut." "Vielleicht ein Versuchswagen, ein Prototyp", wird der Vater vermuten. "Nein,er sah irgendwie ... älter aus." Da wird sich sein Großvater einmischen, der extra zum Essen gekommen ist. "Hatte der Wagen auf der rechten Seite der Motorhaube eine Öffnung mit einem Drahtgitter davor?", wird er mit einem Leuchten in den Augen fragen. "Ich glaube, ja". "Und hatte er seltsame Türen, die erst in der Karosseriemitte beginnen, dafür aber im Dach enden?" ,Ja". "Und Speichenräder?" "Auch ". "Und er war sehr laut?" "Oh ja". Dann wird der Großvater freudig strahlen und sagen: "Mein Lieber, es ist eigentlich kaum zu glauben, aber du bist wahrscheinlich dem Uhlenhaut-Coupé begegnet."

So wird es vermutlich ablaufen, denke ich, während die rund 30 Liter Rizinusöl Castrol B353 für Motor und Getriebe langsam auf Temperatur kommen. Wobei derJunge mit dem Begriff Uhlenhaut-Coupé wohl kaum etwas anfangen kann, solche Dinge gehören nun einmal nicht zum humanistischen Bildungs-Kanon und zur Schulbildung gleich gar nicht.Also wird der Großvater erklären: "Rudolf Uhlenhaut war der Leiter der Versuchsabteilung bei Mercedes-Benz. Er wurde 1906 als Sohn des Deutsche Bank-Direktors in London geboren. Uhlenhaut war ein begnadeter Ingenieur, außerdem konnte er fast genau so schnell fahren wie die besten Rennfahrer." "Und der hat dieses Auto gebaut?" "Sogar zwei Stück davon, eines mit roter und eines mit blauer Innenausstattung."

Phänomenale Beschleunigung, unfassbarer Sound

Mercedes-Benz 300 SLR Uhlenhaut Coupé (1954) Motor Klassik Foto: Hans-Dieter Seufert
Tarnfarbe Rot: Luxuriöses Interieur mit Karostoff und komischer Sitzposition.

Bei dem Exemplar mit rotem Interieur zeigt die Öltemperaturanzeige links unter dem Drehzahlmesser inzwischen knapp 80 Grad. Der Stadtverkehr liegt hinter uns, es kann losgehen. Dabei sollte ich wohl besser berücksichtigen, dass inzwischen, anders als zu Uhlenhauts Zeiten, ein lästiges Landstraßenlimit existiert. Damals hätte der Schutzmann wahrscheinlich noch salutiert, wenn Uhlenhaut mit 180 über eine Kuppe geflogen wäre. Heute würde er nach den Handschellen greifen, dieser Spielverderber. Schade eigentlich, denn dieses silberne Coupé strebt derartig vehement zum Horizont, dass einem die Spucke wegbleibt. Nach knapp sieben Sekunden ist die Landstraßenempfehlung erreicht, mit einer leichtgängigeren und besser dosierbaren Kupplung würde es vermutlich schon viel früher blitzen. Und wer auf der Autobahn Platz hat und sich durch die offene, mit Sperren für den ersten und den Rückwärtsgang versehene Schaltkulisse des Fünfganggetriebes arbeitet, der bringt die Tachonadel auf Tuchfühlung zur 300-km/h-Marke. Ohne Ohrenstöpsel ist man hinterher allerdings taub.

Dieser Vorwärtsdrang sorgt noch heute für schweißnasse Hände am Lenkradkranz aus Weymouth-Kiefer. In den Fünfzigern muß das Uhlenhaut-Coupé wie eine Naturerscheinung gewirkt haben, eine unheimliche Energieballung – ähnlich einem Kugelblitz. Dabei ist die Erklärung einfach: Der silberne Pfeil ist nichts anderes als ein reinrassiger Formel 1, der zur Tarnung eine hautenge Coupé-Hülle, zwei Scheinwerfer, Blinker und karierte Stoffsitze besitzt. Über die technischen Details wüsste der Großvater jetzt sicher eine Menge zu berichten, während die Familie auf den Hauptgang wartet. "Vor dem Zweiten Weltkrieg", so würde er anheben, "hat Mercedes unwahrscheinlich erfolgreiche Rennwagen gebaut, die eigentlich nur die Konkurrenz der Auto Union zu fürchten hatten." "Das waren die ersten Silberpfeile, nicht wahr?", würde der Enkel fragen. "Genau. Und nach dem Krieg wollten die Untertürkheimer natürlich ebenso erfolgreich weitermachen wie zuvor. Also bauten sie zunächst einen Sportwagen – den 300 SL mit den berühmten Flügeltüren. Das war 1952, vor 50 Jahren also. Das eigentliche Ziel war aber, ab 1954 wieder in den Grand Prix-Sport einzusteigen. Dafür bauten sie einen revolutionären Rennwagen, den W 196." "Ist den nicht dieser Fangio gefahren?" , würde der aufgeweckte Junior fragen, der möglicherweise heimlich Motor Klassik liest. "In der Tat", hieße die Antwort des etwas überraschten Großvaters.

Renntechnik auf die Straße verbannt

"Und genau wie vor dem Krieg war dieser neue Silberpfeil der Konkurrenz so überlegen wie dein Computer einem Rechenstab. Der Achtzylinder-Reihenmotor mit 2,5 Liter Hubraum bestand aus zwei gekoppelten Vierzylinder-Blöcken, die Kraftabnahme erfolgte in der Mitte. Das Benzin wurde direkt in die Brennräume gespritzt, und die Ventile wurden desmodromisch betätigt – also nicht mit einer Feder, sondern über einen Schließhebel geschlossen. So etwas gibt es sonst nur noch bei den Ducati-Motorrädern, wie sie dein Vater fährt."

Mercedes-Benz 300 SLR Uhlenhaut Coupé (1954) Motor Klassik Foto: Hans-Dieter Seufert
Geteilter Achtzylinder mit desmodromischer Ventilsteuerung und Direkteinspritzung.

"Und was bringt das?", würde dann der Enkel leicht verwirrt fragen, der von diesen technischen Feinheiten noch nie etwas gehört hat. "Nun, durch die kurzen Vierzylinder-Blöcke kann man kurze Nockenwellen verbauen, die sich bei hohen Drehzahlen nicht verbiegen. Auch die Zwangssteuerung sorgt bei hohen Touren für sicheres und genaues Öffnen und Schließen der Ventile; besser als mit einer Feder, wie es sonst üblich ist. Letztlich bedeuten hohe Drehzahlen nun einmal hohe Leistung", würde der Großvater erklären und abschließen: "Insgesamt kam man auf rund 280 PS in einem sehr verwindungssteifen Gitterrohrrahmen. Damit gewann Mercedes neun von zwölf Rennen, und der Argentinier Juan Manuel Fangio wurde 1954 und 1955 Weltmeister."

Kein Renneinsatz

"Und wie kam es dann zum Uhlenhaut-Coupé?" Der Junior würde nicht locker lassen, obwohl es inzwischen auf den Nachtisch zugeht. Doch der Großvater freut sich, dass sein Wissen einmal gefragt ist, und erzählt weiter: "Von dem Formel 1 gab es noch eine Version als Rennsportwagen, mit dem Mercedes 1955 die Sportwagen-WM gewinnen wollte – und am Ende auch gewann. Dafür änderten die Ingenieure das Chassis des W 196 und schafften Platz für einen zweiten Sitz; das Motorgehäuse wurde nun aus Leichtmetall gegossen. Die Grundkonzeption blieb gleich, allerdings hatte der Sportwagen, genannt 300 SLR, nun drei Liter Hubraum und 300 PS. Damit siegte der Brite Stirling Moss gleich im ersten Rennen, bei der Mille Miglia, und fuhr nebenbei den heute noch gültigen Streckenrekord." Jetzt brauchte der Großvater einen Schluck Wasser, bevor er zum Kern kommt: "Um diesen erfolgreichen Rennsportwagen herum, also im Grunde ein zweisitziger Formel 1, ließ Rudolf Uhlenhaut damals versuchsweise eine Coupé-Karosserie bauen. Von dem geschlossenen Aufbau erhoffte man sich Vorteile in der Saison 1956, die für Mercedes aber niemals stattfand."

"Warum denn nicht?", fragt der Enkel dann erstaunt. "Man soll auf der Höhe des Erfolges abtreten, hatte man gedacht – Mercedes hatte einfach alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. "Jedenfalls", schließt der Großvater, " jedenfalls ist Uhlenhaut damals oft auch privat mit einem der beiden Coupés nach Hause gefahren, von Untertürkheim über Hedelfingen und Heumaden nach Riedenberg, rund zwölf Kilometer. Und einmal ist er damit sogar zum Grand Prix nach Schweden gedonnert, gewissermaßen als Langstreckentest." Da muss Uhlenhaut ganz schön hart im Nehmen gewesen sein. Sonderlich bequem reist es sich in dem Renncoupé nämlich trotz der roten Stoffsitze nicht. Die Sitzposition zwingt in eine eigentümliche Froschhaltung, schlimmer als bei jedem Italiener: Mit weit gespreizten Beinen sitzt man über dem Kardantunnel, links davon die Kupplung,rechts Bremse und Gas. Vom schmalen Fußraum des Beifahrers trennt eine mit rotem Kunstleder bezogene Platte. Das steil stehende Vierspeichen-Lenkrad ist sehr weit vorn positioniert und lässt sich von Kleinwüchsigen nur mit ausgestreckten Armen erreichen.

Motor: Achtzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei zwangsgesteuerte Ventile je Brennraum, zwei oben liegende Nockenwellen. Benzin-Direkteinspritzung, Trockensumpfschmierung

Kraftübertragung: Kraftabnahme in der Motormitte, Einscheiben-Trockenkupplung, geradverzahntes Fünfganggetriebe hinter Achsantrieb, Übersetzung nach Strecke

Karosserie/Fahrwerk: Stahl-Gitterrohrrahmen mit Leichtmetall-Karosserie, vorn Einzelradaufhängung an doppelten Dreieckslenkern, hinten Pendelachse, Torsionsstabfedern und hydraulische Stoßdämpfer,hydraulisch betätigte, innen liegende Trommelbremsen,

Mercedes-Benz 300 SLR (1955) Mille Miglia Startrampe Brescia Foto: Mercedes-Benz
Sein erstes Rennen gewann der 300 SLR 1955 mit einem Streckenrekord: Stirling Moss fuhr mit Denis Jenkinson die Mille Miglia in zehn Stunden, sieben Minuten und 48 Sekunden. Auf dem zweiten Platz: Juan Manuel Fangio, ebenfalls in einem 300 SLR.

Zwischen Fahrspaß und Folter

Das Schlimmste aber ist der Lärm. Während im offenen SLR irgendwann der Fahrtwind alles wie in Watte hüllt, summieren sich im Cockpit des Coupés die mechanischen Geräusche der Maschine und das der Verbrennung zu einem akustischen Inferno. Ab 5000 Touren meint man, inmitten eines Stadions voller Presslufthämmer zu stehen. Rudolf Braunschweig, einst Chefredakteur der Schweizer Automobil Revue, hatte 1956 das Coupé mit der blauen Innenausstattung zum Testen, dabei legte er einige tausend Kilometer zurück – allerdings mit eigens angebrachten Schalldämpfern.

Dennoch, Hut ab, zumindest in der Stadt ist die Grenze zwischen Fahrspaß und Folter fließend. Bei freier Fahrt indes gibt es kaum Fahrzeuge dieser Ära, die mehr Freude bereiten. Dazu trägt neben der brutalen Beschleunigung auch das leichtfüßige Fahrwerk des SLR bei, ganz zu schweigen von den Bremsen, deren Wirkung durch eine Pumpe an der Hinterachse tempoabhängig unterstützt wird.