Mercedes Kurzhauber L 1113 wird 60

Unterwegs mit dem Lieblingslaster unserer Kindheit

Warum wir einen alten Lastwagen fahren, fragen Sie? Nun, der offizielle Grund: Der Mercedes Kurzhauber wird sechzig. Jetzt der inoffizielle und viel bessere: Wir wollten unbedingt mal so einen fahren. Ab dafür!

Mercedes Kurzhauber L 1113, Exterieur Foto: Hans-Dieter Seufert 10 Bilder

Die ganze Fahrt über zum Mercedes-Lastwagenwerk Wörth ahnen wir, dass wir etwas vergessen haben. Es fällt uns ein, als wir vor dem L 1113 stehen: Herrje, wir haben die vierdreiviertel Kubikmeter Basaltlava nicht dabei, um die Ladekapazität des Pritschenlasters auszunutzen. Alternativ gingen auch vier Kubikmeter Erdaushub Lehm oder vierdreiviertel Kubikmeter Braunkohle – als Schüttgut oder in der handlicheren Brikettausführung. Wobei Lava schon besonders extravagant wäre. Aber natürlich bricht gerade dann kein Vulkan aus, wenn es geschickt wäre.

Wobei der Kurzhauber in seiner langen Karriere wohl alles transportiert hat. Er startet 1959, wird bei uns bis 1984 angeboten, bis 1995 gebaut. Am einen oder anderen Ende der Welt halten Kurzhauber noch immer ganze Wirtschaftssysteme in Bewegung, hier sind sie die Lastwagen unserer Kindheit. Wie bei mir: Neben dem Pfarramt stand das Spritzenhaus, darin ein Kurzhauber als elfsitziges Tanklöschfahrzeug. Immer im Mai war Feuerwehrfest, da durfte ich eine Runde mitfahren. Sollten auch Sie eine entlegene protestantische schwäbische Jugend erlebt haben, verstehen Sie, dass dies durchaus ein Höhepunkt im sonst so steten Lauf des Jahres darstellen konnte.

Aller Laster Anfang

Mercedes Kurzhauber L 1113, Motor Foto: Hans-Dieter Seufert
Unter der kurzen Haube steckt Mercedes’ erster Diesel-Direkteinspritzer. Die Zeit, die der OM 352 zum Vorglühen braucht, genügt, um zu erklären, warum es überhaupt diese Bauform gibt.

Jedenfalls steht nun der L 1113 bereit, die ab 1964 angebotene Version des mittelschweren Lastwagens mit Mercedes’ erstem Diesel-Direkteinspritzer unter der kurzen Haube. Die Zeit, die der OM 352 zum Vorglühen braucht, genügt, um zu erklären, warum es überhaupt diese Bauform gibt. Das liegt an einem Gesetz von 1956, mit dem Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm mehr Güterverkehr auf die Bahn verlagern will. Es beschränkt Länge und Achslast von Lkw und macht der gewohnten Bauform des Langhaubers – also Motor ganz vor der Kabine – den Garaus, weil sie zu viel Platz braucht.

Da Lkw-Fahrer und Spediteure das Frontlenkerlayout (Motor unter der Kabine) für modernes Teufelszeug halten, entwickelt Mercedes einen Kompromiss: den Kurzhauber, bei dem der Motor ein Stück weit in die Kabine ragt. Diese ist übrigens über eine Querblattfeder und zwei Stoßdämpfer vom Leiterrahmen abgefedert, um den Komfort zu erhöhen.

Nicht, dass es viel davon gäbe. Was da in den sechs in Reihe sortierten Zylindern geschieht, wenn der mit 196 bar eingespritzte Kraftstoff durch Kompression der Luft im Zylinder zur Selbstzündung gebracht wird, lässt den Begriff der Detonation schmeichelhaft erscheinen. Das Kupplungspedal, so haben die Kollegen von „Lastauto und Omnibus“ im Jahr 1960 gemessen, benötigt 200 Newton, um nach unten gedrückt zu werden. Den ersten Gang des synchronisierten Fünfergetriebes einlegen, Kupplung kommt. Nun sollte der L 1113 fahren. Fährt er? Nun, womöglich. Dann kaum merklich zwar, aber er fährt!

Peile mit Weile

Mercedes Kurzhauber L 1113, Interieur Foto: Hans-Dieter Seufert
Die Luftdruck-Trommelbremsen sind nicht dafür gerüstet, der Hangabtriebskraft dauerhaft Einhalt zu gebieten. Deswegen muss der L 1113 den Berg motorgebremst herabsteigen. Dazu den Hebel am Lenkrad vorrücken, dann schließt eine Klappe im Auspuffkrümmer.

Im ersten Gang erzielt er das Temponiveau lebensreifer Spaziergänger, im zweiten das rüstiger Nordic-Walker, im dritten jenes wackerer Jogger, ist noch im vierten nicht zu eilig für Tempo-30-Zonen. Doch liegt in seinem beständigen Selbstzünden die Gewissheit, dass 126 PS selbst bei elf Tonnen Gesamtgewicht genügen, um jedes Ziel zu erreichen, wenn man es nur nie an Unermüdlichkeit mangeln lässt. So tourt der Elfdreizehn gemächlich über Landsträßchen. Enge Dorfstraßen jedoch stellen sich mitunter so ungeschickt an, dass man sich zwischen den Häusern verkantete, ließe sich der Kurzhauber nicht so gut abschätzen mit den Peilstäben, die sacht im Fahrtwind vibrieren.

Trotz der Kurbelei am Lenkrad, durch die sich von Präzision und Rückmeldung ungetrübte Richtungswechsel ereignen, fährt der Laster nicht mal so trummig – bis es bergab geht. Da drängt seine Masse wie eine Lawine talwärts. Die Luftdruck-Trommelbremsen sind nicht dafür gerüstet, der Hangabtriebskraft dauerhaft Einhalt zu gebieten. Deswegen muss der L 1113 den Berg motorgebremst herabsteigen. Dazu den Hebel am Lenkrad vorrücken, dann schließt eine Klappe im Auspuffkrümmer.

Durch den Staudruck steigt das Bremsmoment des Motors um zwei Drittel. Nur nicht die Kupplung treten, sonst geht der Diesel aus und der über eine Pumpe an der Nockenwelle mit Druck versorgten Bremse die Luft. Allen, die nicht ahnen, was das bei voller Zuladung bedeutet, legen wir einen Filmabend mit Knabbereien, ein strapazierbares Nervenkostüm und „Lohn der Angst“ nahe. Wir aber fahren gemächlich und unbeladen zurück nach Wörth. Dabei kommen wir an einer Baustelle vorbei, schauen neidisch auf den Erdaushub. Davon jetzt vier Kubikmeter – das brächte Lehm in die Bude!