Mille Miglia 2025
Im Diesel durch Italien
Ist die Mille Miglia wirklich die schönste Oldtimer-Rallye der Welt? Um das herauszufinden, sind wir in einem Mercedes 180 Diesel mitgefahren.
28.06.2025 Andreas Of-Allinger
Nichts kann dich auf die Mille Miglia vorbereiten. Keine Oldtimer-Rallye, kein Roadtrip, keine Reportage. Außerdem haben so viele großartige Kollegen grandiose Texte über die Mille Miglia geschrieben. Fast alle berichten von Erschöpfung, Hitze, Stress und Glück.
Ist es das Glück, dabei zu sein, oder das Glück, alles überstanden zu haben? Die Mille Miglia wirkt noch, lange nachdem das letzte Auto am Ziel über die Rampe an der Viale Venezia in Brescia heruntergerollt ist. Die Autos dröhnen durch den Kopf, wenn die Teilnehmer längst zu Hause sind.
Retter und Larcher fuhren die Mille Miglia im Diesel
Immer wieder mogelt sich ein kerniges Nageln in das Prusten der Fiat 1100, das Kreischen der Ferrari und das Fauchen der Flügeltürer. Es ist das Verbrennungsgeräusch eines Siegers: Mit einem Mercedes 180 D gewannen Helmut Retter und Walter Larcher im Mai 1955 die Dieselklasse der Mille Miglia.
Ein Erfolg, der im Schatten der Rekordfahrt von Stirling Moss stand: Der Brite hatte die Strecke von Brecsia nach Rom und wieder zurück in rund zehn Stunden geschafft. Schnitt: fast 160 km/h. So schnell fuhr davor und danach niemand mehr die Mille Miglia.
Retter und Larcher benötigten mit ihrem Diesel 17 Stunden, 12 Minuten und 14 Sekunden. Sie fuhren im Schnitt 94,645 km/h. Die beiden Österreicher müssen tüchtig Gas gegeben haben, denn der Ponton läuft maximal 110 km/h und auf der Strecke liegen zwei Pässe, der Futa und der Raticosa. Laut Christof Vieweg berichtete Walter Larcher in seinen Erinnerungen: "Da half nur eins: den zweiten Gang einlegen und immer nur Vollgas geben".
Auf Platz Zwei und Drei der neugeschaffenen Dieselklasse: ebenfalls Mercedes 180D. Die Konkurrenz von Fiat und Peugeot sah am Ende nur das rundliche Heck der Pontons und bei Mercedes bestellten die Kunden nach dem Mille-Sieg zunehmend Selbstzünder – "win on Sundays, sell on Mondays" gilt eben auch für Diesel.
So ein Sieg steigert nicht nur die Verkaufszahlen, er beruhigt auch. Zum Beispiel mich, der das erste Mal bei der Mille Miglia mitfährt. Entspannung liefert der Ponton im Handumdrehen: Zündschlüssel ins Schloss, drücken, drehen, den Starthebel drücken und nach unten ziehen. Schon läuft der Diesel.
Ponton-Fahren beruhigt
Mit der Lenkradschaltung den ersten Gang suchen (oben!), Kupplung kommen lassen. Das Nageln wird metallischer, der Ponton legt ab. Nicht nur der Name, auch die Bewegungsmuster haben etwas Maritimes: Ruhige Bewegungen liegen der Limousine. Wer hektisch rudert, erreicht nichts. Also stoisch am Gas bleiben, den erstaunlich elastischen Diesel seine Arbeit machen lassen und ruhig lenken.
Das passt so gar nicht zum hektischen Treiben um uns herum. Doch hat uns gestern nicht auch schon ein Fiat 1100 überholt, als wir im Flügeltürer saßen? Lass sie ziehen, denkst Du dir am riesigen Steuer des Ponton kurbelnd. An der nächsten Stempelkontrolle stehen sie wieder vor Dir, die Fiat, Ferrari und Flügeltürer.
Außerdem, das lerne ich an diesem Tag bei der Mille Miglia: Jeden Pass, den wir hochfahren, fahren wir auch wieder herunter. Und da kann der 180 Diesel zeigen, was in ihm steckt: Bergab überholt den alten Diesel so schnell keiner. Denn die Limousine liegt trotz schmächtiger 13-Zoll-Reifen verdammt gut und geht trotz der eher indirekten Lenkung gut ums Heck. Der Beifahrer hält sich derweil am besten an der gemütlichen Toddel fest, die hinter seinem rechten Ohr von der B-Säule baumelt. Denn Seitenhalt oder Gurte hat der Ponton nicht.
Welches Ergebnis wir am Ende eingefahren habe? Egal. Wir hatten eine Menge Spaß bei der vierten Etappe der Mille Miglia 2025, der Ponton, Peter und ich. Spätabends am Ziel in Parma angekommen, fahren wir den Ponton in die Garage des Hotels, ziehen den Starthebel kurz nach oben, der OM 636 VII schüttelt sich und schweigt. Stille.
Und obwohl solche Tage bei der Mille Miglia lang sind: Am liebsten würde ich gleich morgen um 7 Uhr wieder den Ponton starten und weiterfahren. Doch morgen habe ich einen anderen Termin. Irgendwer muss den Job ja machen.
Das ist die Mille Miglia
Vier Männer haben sich die Mille Miglia ausgedacht: Giovanni Canestrini traf sich im Dezember 1926 in Mailand mit Renzo Castagneto, Aymo Maggi und Franco Mazzotti. Die vier Herren wollten "etwas absolut Sensationelles erschaffen" und organisierten ein Straßenrennen über 1600 Kilometer – mille miglia. Der erste Coppa della Mille Miglia startete schon wenige Monate später, am 26. März 1927. Brescia war die Heimat des Autoherstellers O.M. – gleich drei Autos dieser Marke belegten die ersten drei Plätze der ersten Mille Miglia. Bis heute trägt jeweils ein O.M. bei der Mille Miglia die Startnummer 1.
Gewinnen immer die Italiener?
Mit wenigen Ausnahmen gewann meist ein italienischer Hersteller das Rennen: 1931 siegt Rudolf Carraciola mit einem Mercedes SSK, 1940 Huschke von Hanstein mit einem BMW 328 und 1955 setzte Stirling Moss mit einem Mercedes 300 SLR einen Rekord für die Ewigkeit: Mit seinem Beifahrer Denis Jenkinson fuhr er im Mai 1955 die Strecke Brescia-Rom-Brescia in 10 Stunden 7 Minuten und 48 Sekunden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit von fast 160 km/h hat in den beiden Folgejahren niemand mehr übertroffen.
Das Ende der originalen Mille Miglia
Nach einem schweren Unfall im Jahr 1957, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen, wurde das Rennen verboten. Seit 1977 wird die Mille Miglia als Oldtimer-Rallye ausgetragen. Es geht nicht mehr um die höchste Geschwindigkeit, sondern um Zuverlässigkeit, das möglichst exakte Erreichen vorgegebener Zeiten in Dutzenden Wertungsprüfungen – und die Freude am alten Auto.
Welche Autos sind zugelassen?
Bei der historischen Mille Miglia sind Modelle zugelassen, die beim originalen Rennen gemeldet waren. Typische Mille-Miglia-Autos sind Alfa Romeo 6C 1750, Fiat 1100 und Balilla, Mercedes 300 SL und BMW 328 sowie Aston Martin DB2 oder Porsche 356.
Bei der 43. Ausgabe im Juni 2025 waren 78 Autos dabei, die schon einmal das originale Rennen gefahren sind. Insgesamt nahmen über 400 Teams aus 29 Ländern teil. Die Strecke führte an fünf Tagen über 1900 Kilometer von Brescia nach Rom und wieder zurück.