Rekordfahrzeuge von NSU

Von Liegestühlen, Blauwalen und Delfinen

In den 1950er-Jahren entbrannte eine regelrechte Jagd nach Aerodynamik-Rekorden. Vorn mit dabei: die Marke NSU. Jetzt erinnert Audi an die schnellen Raritäten der Neckarsulmer Highspeed-Geschichte.

NSU Aerodynamik-Experimente Foto: Audi 21 Bilder

Ende der 1960er-Jahre setzte der NSU Ro80 neue Maßstäbe in Sachen Aerodynamik. Seine keilförmige Karosserie entsprang dem Windkanal und ermöglichte einen für damalige Verhältnisse spektakulären Luftwiderstandsbeiwert von 0,35 cW. Doch schon rund zwei Jahrzehnte zuvor war NSU überaus windschnittig unterwegs, holte auf den internationalen Rennstrecken bemerkenswerte Siege und stellte zahlreiche Weltrekorde auf.

Die treibende Kraft der Neckarsulmer Rekordambitionen ist zu dieser Zeit Wilhelm Herz. Der erfahrene Motorradrennfahrer steht seit Jahren in Diensten von NSU und fährt mit der Marke viele Erfolge ein. 1948 gelingt es ihm, die NSU-Cheftechniker von seinen Rekordplänen zu überzeugen. Sie basieren auf einer besonderen Konstruktion von Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld – einem Motorrad in extralanger Zigarrenform.

290 km/h im Delphin von 1951

Ein Unfall von Wilhelm Herz vereitelt die Rekordpläne mit der Zigarre. Doch parallel entwickelt man ein Motorrad mit ausladender Delphin-Verkleidung. Auf dieser Kompressormaschine mit 500 Kubikzentimetern Hubraum erzielt Herz auf der Autobahn München-Ingolstadt 290 km/h – Weltrekord! Es folgen sieben weitere Rekorde im gleichen Jahr.

Noch 1951 stellt der gelernte Grafiker Gustav Adolf Baumm NSU eine neue Idee vor, die über das Fachsenfeld’sche Konzept hinausgeht: Der Fahrer liegt dabei auf dem Rücken, was eine niedrige Aufbauhöhe des Rennmotorrads von nur 75 Zentimetern ermöglicht. Mit einem umgebauten Bügelbrett überzeugt Baumm NSU-Entwicklungschef Froede von der Steuerbarkeit eines solchen Gefährts und bekommt finanzielle und technische Unterstützung.

Der Baumm’sche Liegestuhl läuft mehr als 300 km/h

Nach der erfolgreichen Präsentation seines ersten "Baumm’schen Liegestuhls" erhält Baumm 1952 einen Vertrag von NSU und entwickelt zusammen mit der Forschungsabteilung den "Baumm I" und den "Baumm II", die hervorragende Luftwiderstandsbeiwerte erzielen. Allzu gemütlich sind sie allerdings nicht. Dafür brechen sie Rekorde, weshalb sie später als "fliegende Liegestühle" in die Geschichte eingehen. Gustav Adolf Baumm gelingt es, als Konstrukteur und Fahrer 1954 insgesamt elf Weltrekorde in den Klassen von 50 bis 175 Kubikzentimeter einzufahren.

Ist der Baumm’sche Liegestuhl vornehmlich für Rekordfahrten geeignet, werden andere strömungsgünstige Konzepte bei Rennen eingesetzt. Mit der NSU Rennmax Typ Delphin gewinnt NSU im Jahr 1954 alle gestarteten Rennen in der Klasse bis 250 Kubikzentimeter Hubraum mehrfach als Doppel-, Dreifach- oder Vierfachsieger. 1954 kommt beim Rennen auf der Solitude in der Nähe von Stuttgart zum ersten Mal eine ganz neue Vollverkleidung zum Einsatz.

Blauwal dominiert die Rennserien

Gleich beim ersten Rennen belegen die Rennfahrer Werner Haas und Rupert Hollaus mit dem sogenannten "Typ Blauwal" die ersten beiden Plätze. Haas gewinnt im Jahr 1954 auf der Blauwal die Weltmeisterschaft und die Deutsche Meisterschaft in der Klasse bis 250 Kubikzentimeter Hubraum.

In der Klasse bis 350 Kubikzentimeter kann Hermann Paul Müller mit einer modifizierten Rennmax Typ Blauwal mit 288 Kubikzentimetern Hubraum die Deutsche Meisterschaft nach Neckarsulm holen. Im Vergleich zur Rennmax mit Delphin-Verkleidung ist bei der strömungsgünstigeren Blauwal nämlich nochmal mehr Speed möglich.

339 km/h mit der Delphin III

Im Sommer 1956 geht NSU erneut auf Rekordjagd. Idealer Ort dafür sind die berühmten Bonneville Salt Flats: Der ausgetrocknete Salzsee im amerikanischen Bundesstaat Utah bietet beste Bedingungen. Für die Rekordfahrten ist ein 22 Meter breiter Fahrstreifen speziell präpariert. H. P. Müller stellt dort mit dem "Baumm II" gleich mehrere Geschwindigkeitsrekorde auf und erreicht unter anderem mit dem 125-Kubikzentimeter-Motor der NSU Rennfox 242 km/h. Wilhelm Herz geht in Utah mit dem "Baumm IV" und der "Delphin III" an den Start.

NSU Aerodynamik-Experimente Foto: Audi

1956er Speed-Rekord auf den Bonneville Salt Flats: 339 km/h auf einem Motorrad (NSU Delphin III).

Der vollverkleideten Delphin III mit der markanten Heckflosse kommt eine besondere Aufgabe zu: Auf ihr will Herz so schnell fahren wie noch nie zuvor ein Mensch auf einem Motorrad. Trotz nicht optimaler Bedingungen und einiger Widrigkeiten, die vor Ort noch Veränderungen an der Delphin III erfordern, wagt sich Herz am 4. August an den Rekordversuch. Mitgereist sind auch NSU-Generaldirektor Gerd Stieler von Heydekampf und der Technische Direktor Viktor Frankenberger; der Rundfunk berichtet direkt aus Utah. Das Aufgebot lohnt sich: 339 km/h erreicht Herz mit der Maschine. So schnell war noch nie ein Motorrad zuvor.

Aerodynamik-Ausstellung im Audi-Museum

In der aktuellen Ausstellung "Windschnittig" präsentiert Audi eine Zeitreise durch die Geschichte der Aerodynamik. Die Sonderschau im Ingolstädter "Audi museum mobile" ist bis zum 9. Juni 2024 zu sehen, zeigt die grundlegenden aerodynamischen Konzepte der Zeit bis 1945 und stellt die Vordenker der Aerodynamikforschung vor.

Edmund Rumpler, Paul Jaray und der erwähnte Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld sind nur einige der bekannten Namen. Zudem sind mehr als ein Dutzend Großexponate, darunter ebenso seltene wie einzigartige Fahrzeuge in der Ausstellung zu sehen. Der zweite Teil, der die Geschichte der Aerodynamik nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt und aktuell bereits im August Horch Museum in Zwickau zu sehen ist, startet ab Juli 2024 im Audi museum mobile – ihr Titel: "Form vollendet".