Original-Test Opel Calibra

Nachfolger einer Legende

Der neue Calibra tritt die Nachfolge des Manta an. Für Coupé-Freunde hat sich das Warten gelohnt. Dieser elegante Ableger des Opel Vectra überzeugt nicht nur formal. auto motor und sport fuhr 1990 den Opel Calibra. Den Original-Fahrbericht verfasste Wolfgang König.

Opel Calibra 13 1990 Foto: Hans-Dieter Seufert 12 Bilder

Das Volk der Opel-Fahrer darf zufrieden sein. Nie ging es ihnen, modellpolitisch gesehen, so gut wie heute. Mit einer Ausnahme: Zwei Jahre schon fehlt das Sport-Coupé im Opel Menü. Seit der Manta ersatzlos gestrichen wurde, musste sich die forsche Opel-Jugend mit aufgemöbelten Kadett-Varianten zufriedengeben. Damit ist jetzt Schluss. Der Calibra, frisch auf dem Markt, macht der Manta-losen Zeit ein Ende. Da braucht man sich am neuen Namen nicht zu stören. Der Calibra ist im Grunde seines Wesens ein echter Manta, von der schnittigen Coupé-Form bis zur technischen Großserienkonfektion.

Opel Calibra 13 1990 Foto: Hans-Dieter Seufert
Das hohe Heck erinnert an aktuelle Formen von BMW.

Basis ist der Opel Vectra, dessen sich der Calibra keinesfalls schämen muss. Immerhin zählt der Vectra nach wie vor zum Besten, was es in der Mittelklasse zu kaufen gibt. So ist es vor allem die Form, die den neuen Calibra auszeichnet. Und die hat es offenbar in sich. Stolz erfüllt die Opel-Techniker, wenn sie darauf hinweisen, dass hinter diesem Coupé mehr steckt als ein schönes Gesicht. Besonders vorteilhaft wirkt es demnach im Windkanal. Mit einem cw-Wert von nur 0,26 flutscht das Rüsselsheimer Aerodynamik-Wunder durch den Fahrtwind und markiert damit einen neuen Weltrekord. Um sicherzugehen, wurde dieser sogar in vier verschiedenen Windkanälen gemessen. Doch nicht allein der cw-Wert macht bekanntlich den Luftwiderstand aus, auch die Stirnfläche des Autos trägt das Ihre dazu bei. Der Calibra misst schlanke 1,90 Quadratmeter. Als maßgebendes Produkt aus cw und Fläche errechnen sich somit 0,49 Quadratmeter, ebenfalls rekordverdächtig. Nicht ganz so gut sieht es da für die Power-Variante des Calibra aus. Ausgestattet mit einem 16 V-Motor, größerem Kühler und breiteren Reifen, rutscht der cw-Wert auf 0,29, und das cw x F-Produkt erreicht handelsüblichere 0,55 Quadratmeter. Doch auch damit lässt es sich leben.

Verblüffende Ähnlichkeit mit dem BMW 850i

Was den Ästheten freut: Aufstörende Spoiler und protzige Flügel wurde rundum verzichtet. Überhaupt wirkt die neue Form wohlgelungen. Nett und adrett schwingt sie sich vom spitzen Bug hoch zum korpulenten Heck, wo sie eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem neuen BMW-Topmodell 850i erkennen lässt – Glück für Opel, Pech für BMW. Vorne sind es die extrem flachen Scheinwerfer, gerade sieben Zentimeter hoch, die auffallen. Unter einem gemeinsamen Deckglas befinden sich die separaten Leuchteinheiten für Blinker, Abblend- und Fernlicht sowie auf Wunsch auch noch die Nebelscheinwerfer. Fahr- und Nebellicht arbeiten nach dem Ellipsoid-System, ähnlich der bereits von BMW eingeführten Scheinwerfer. Opel verspricht jedoch eine Erhöhung der Lichtausbeute um weitere 40 Prozent.

Opel Calibra 13 1990 Foto: Hans-Dieter Seufert
Bequeme Sportsitze, im Calibra neu gemustert.

Dem Spaß am flotten Exterieur folgt die Ernüchterung beim Blick in den Innenraum. Drinnen sieht es aus wie in einem ganz gewöhnlichen Vectra. Sitze und Armaturenbrett gleichen weitgehend der Limousinenausstattung, nur die Seitenverkleidungen und Stoffe lassen neue Akzente erkennen. Praktisch gesehen ist die Beschränkung auf vorhandene Elemente indessen kein Nachteil. An der Bedienung gibt es jedenfalls nichts auszusetzen. Wer im Fond Platz nimmt, muss sich natürlich auf coupébedingte Abstriche gefasst machen. Opel bezeichnet den Calibra optimistisch als Viersitzer. Was am Beinraum gemessen noch angeht, gilt jedoch nicht für die Kopffreiheit. Ausgewachsene Rücksitz-Passagiere kleben unter der weit ins Dach gezogenen Heckscheibe, was dort einen längeren Aufenthalt wenig erstrebenswert macht. Realistisch betrachtet ist deshalb der Calibra eher ein 2+2-Sitzer, und dazu passt dann auch das Kofferraumvolumen. Sparsame 300 Liter sind es im Normalfall, durch Umklappen der asymmetrisch geteilten Rücksitze lässt sich der Raum jedoch in bewährter Schrägheck-Manier vergrößern. Beladen wird durch eine große, aber flache Heckklappe.

Intelligente Klimaanlage

So sehr es beim Calibra auch auf die Karosserie ankommt, eine reine Formsache ist er deshalb nicht. Ein wenig wurde auch an der Technik gefeilt. Das Basis-Triebwerk, der bekannte Zweiliter-Einspritzer mit Zweiventil-Zylinderkopf verfügt jetzt über eine verbesserte Motronic. Das ändert zwar nichts an der Leistung- sie verharrt bei 115 PS (85 kW) -, erlaubt dank erhöhter Speicherkapazität aber eine präzisere Anpassung von Gemisch und Zündung. Vor allem ermöglicht die neue Motronic aber die Steuerung weiterer Motorfunktionen, ein Bonus, den speziell die Fahrer der Automatikversion genießen dürfen. Um die Schaltrucke zu mindern, wird jetzt auch die Zündung manipuliert. Noch ein anderes Automatikdetail zeigt, dass bei Opel an alles gedacht wird. Sollte der Calibra mit einer Klimaanlage ausgerüstet sein, so wird diese beim Anfahren automatisch abgeschaltet, "um die volle Motorleistung zur Verfügung zu haben", wie Opel der Presse allen Ernstes versichert.

Opel Calibra 13 1990 Foto: Hans-Dieter Seufert
Armaturen wie im Vectra, neues Lenkrad.

Bei der Probefahrt mit dem 115 PS Calibra, der wohl das Gros der Produktion ausmachen wird, blieb die Klimaanlage deshalb gleich ganz ausgeschaltet. Objekt der ersten Bekanntschaft war allerdings keine Automatik-, sondern die zweifellos mehr gefragte Fünfgangversion. Die sportliche Abstufung der Gänge kommt der Kraftentfaltung spürbar entgegen. Der Zweilitermotor wirkt damit eine Spur munterer, als man es vom Vectra her in Erinnerung hat. Da das Nenngewicht von 1.170 Kilogramm keine Zunahme von gravierender Bedeutung erkennen lässt, darf mit wackeren Fahrleistungen gerechnet werden. Opel nennt zehn Sekunden für die Beschleunigung von null auf 100 km/h. Wen wundert’s, dass sich auch die Höchstgeschwindigkeit sehen lassen kann? Der niedrige cw-Wert puscht sie auf 203 km/h, so jedenfalls die Werksangabe.

Opel Calibra 13 1990 Foto: Hans-Dieter Seufert
Platz für zwei im Fond, jedoch wenig Kopfraum.

Damit präsentiert sich der Calibra gut, wenn auch nicht gerade aufregend motorisiert, was der Fahreindruck bestätigt. Die Unterschiede zum Vectra bleiben erwartungsgemäß dezent. Wo sie jedoch auffallen, sind sie keineswegs nur von Vorteil. So im Geräusch: Opel berichtet zwar von umfangreicher Optimierung bis hin zur sportlich temperierten Tonlage, Tatsache ist jedoch, dass es im Calibra bei höheren Drehzahlen lästig dröhnt, eine Eigenart, die vor allem bei schneller Autobahnfahrt nervt. Die Antriebsalternative, der Zweiliter als Vierventiler, verspricht da nichts Besseres. Wer ihn aus dem Vectra kennt, weiß, dass Laufruhe zu den Schattenseiten dieses ansonsten wohl gelungenen Triebwerks zählt. Auf der Haben-Seite stehen Leistung und Temperament. Es bleibt bei 150 PS (110 kW), die den Calibra beträchtlich beflügeln. Der Beschleunigungswert von null auf Tempo 100 schrumpft beim 16 V auf 8,5 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit steigt auf 223 km/h. wird.

An der Ausstattung wurde nicht gespart. Doch das Schönste am Calibra ist der Preis. Mit 33.900 Mark ist man dabei

Fein sind die Unterschiede zwischen Coupé und Limousine auch fahrwerksseitig. Die Abstimmung der Calibra Achsen orientiert sich an dem bereits sportlich gestrafften Vectra 2000. Während dort jedoch die Schräglenker-Hinterachse nur der 4 x 4-Version vergönnt bleibt, wird sie im Coupé auch in Verbindung mit Frontantrieb eingebaut. Das Ergebnis ist, zumindest beim weicher gedämpften 115 PS-Calibra, nicht besonders sportlich, dafür aber ausgesprochen fahrsicher und erfreulich komfortabel. Servolenkung und ABS zählen zur Serienausstattung, gegen Aufpreis (4.415 Mark) ist für beide Motorvarianten auch der aus dem Vectra bekannte Allradantrieb zu haben.

Opel Calibra 13 1990 Foto: ams
Der Original-Fahrbericht erschien am 15. Juni 1990 in der Ausgabe 13.

Damit wird ein Thema angesprochen, in dem Opel offensichtlich den Schlüssel zum Erfolg vermutet. Man will die Japaner in die Schranken verweisen, und zwar mit deren eigenen Mitteln. Nichts eignet sich da besser als großzügiges Anfetten der Serienausstattung. Entsprechend die Liste beim Calibra: Leichtmetallräder, getönte Fenster, elektrisch verstellbare Außenspiegel, Cassetten-Radio mit sechs Lautsprechern, Dachantenne mit Verstärker, geteilte Rücksitzlehne, alles Serie. Da hätte man die elektrischen Fensterheber (Aufpreis 828 Mark) eigentlich auch noch reinpacken können, sind sie doch des Ausstattungsfreundes liebster Fetisch. Aber nicht die Ausstattung ist das Schönste am Calibra, auch nicht die Form. Das Schönste kommt noch: Das neue Opel-Coupé gibt es schon für 33.900 Mark. Wer sich den 16 V gönnt, muss noch einmal 5.900 Mark drauflegen. Auch dann sind die Japaner noch teurer.