Renault 4 im historischen Test
Der Dacia-Vorläufer überzeugte Millionen
Mit seiner zweckmäßigen Form traf der Renault 4 auf ein skeptisches Publikum. Im Original-Test von 1962 überzeugt der R4 jedoch mit echten Stärken.
23.12.2025 Redaktion auto motor und sport
Foto: Julius Weitmann
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Der R4 traf bei seiner Premiere am 21. September 1961 auf ein skeptisches Publikum, das sich an die sachliche und zweckmäßige Form des ersten Frontantriebs-Renault erst noch gewöhnen musste. Zeit dazu hat es genug, denn der R4 lief ziemlich genau 31 Jahre vom Band. Der erste Renault mit Frontantrieb ist zugleich die erste Kombi-Limousine mit vier Türen, großer Heckklappe und variablem Innenraum. Eine echte automobile Innovation, die da auf der Internationalen Automobil Ausstellung (IAA) in Frankfurt Premiere feierte. Und ein Welterfolg, wie sich herausstellen sollte: Renault baut den R4 in 28 Ländern, verkauft ihn in über 100 und insgesamt 8.135.424-mal. Sogar bei der Rallye Monte Carlo fuhr der R4 mit, wurde bei der brutalen Wüstenrallye Paris-Dakar Zweiter des Gesamtklassements und bekam als automobiler Held im Film "Trafic" des französischen Komikers Jaques Tati sogar eine Rolle in einem Kinofilm. Die Idee des damaligen Renault-Chefs Pierre Dreyfus, ein Auto zu bauen, das klassenlos und unkompliziert ist wie eine Bluejeans, hatte funktioniert.
Der große ams-Original-Test des Renault 4L
Weil auto motor und sport 2026 seinen 80. Geburtstag feiert, veröffentlichen wir 80 Tests aus 8 Jahrzehnten. Denn schon früh sah die Redaktion es als ihre Aufgabe, neue Autos zu testen. Das macht auto motor und sport so lange und so ausführlich wie kein anderes deutschsprachiges Automagazin. Zur Tradition und zum journalistischen Anspruch gehört es, Stärken und Schwächen klar zu benennen. Damit das Urteil fundiert ausfällt, erhebt die Redaktion bei ihren Mess- und Testfahrten möglichst präzise Daten und sammelt reproduzierbare Eindrücke. Den folgenden Test schrieb Reinhard Seiffert für auto motor und sport 8/1962.
Der R4 ist entwaffnend praktisch
Kopfschüttelnd betrachten die Leute den R4 und kommen zu dem Ergebnis: "Das ist doch kein richtiges Auto!" Sie haben recht. Der R4 ist kein richtiges Auto. Er ist nicht einmal ein richtiger Kleinwagen. Er ist etwas, wofür noch der passende Ausdruck fehlt. Man könnte sagen: ein Gefährt. Das trifft ungefähr den Kern der Sache; denn der R4 ist zu langsam und auch zu primitiv, um mit "richtigen Autos" verglichen zu werden. Und was man vernünftigerweise unter Kleinwagen verstehen sollte, also Autos wie der Fiat 600, die Renault Dauphine, der Simca 1000 und selbst noch der Volkswagen, ist etwas ganz anderes als der R4. Diese und andere Kleinwagen sind im Grunde eine Art viersitzige Sportwagen. Der R4 dagegen ist ein hoffnungslos unsportliches, ganz und gar nicht repräsentatives und – entwaffnend praktisches Gefährt.
Daß eine so große Fabrik wie Renault so etwas baut, ist – auf den ersten Blick – erstaunlich. Kaum jemand, auch so zweckbewußte Leute wie die Erbauer des Volkswagens nicht, wagt es heute, das Repräsentationsbedürfnis des Käufers zu übergehen. "Häßlichkeit verkauft sich schlecht" ist ein Spruch, der, wenn nicht wirklich, so doch wenigstens symbolisch über den Planungen und Entwicklungen aller Automobilfabriken schwebt. Nun – es ist keine Frage, daß dieser Leitsatz den Autokäufern schon mancherlei Ungemach beschert hat. Knapper Kopfraum zum Beispiel ist ein Leiden fast aller kleinen bis mittelgroßen Autos von heute; und es ist noch gar nicht lange her, da ließen wir uns einstiegbehindernde Panoramascheiben gefallen. Karosserieformen werden nach stilistischen statt nach praktischen Gesichtspunkten entworfen, Reparaturen sind entsprechend teuer und kompliziert. Wir machen das alles mit, fast ohne zu murren.
Das ist vielleicht nur ein Übergangsstadium. Vielleicht sind die Autos in zehn oder zwanzig Jahren gar nicht so flugzeugähnlich futuristisch, wie man sie sich heute gern vorstellt, vielleicht gleiten sie auch gar nicht auf Luftkissen über Spezialbahnen und sind statt dessen wieder praktischer, unempfindlicher, kompakter, höher, leichter reparierbar und weniger wartungsbedürftig. Zur Zeit traut sich allerdings niemand, die Konzeption eines ausgewachsenen Autos auf solche Grundsätze zu stützen.
Was unterscheidet den R4 vom 2CV?
Und so ist der R4 eine Ausnahme, die man kühn nennen könnte, wenn sie allein dastände. Aber ihr ging eine andere Ausnahme voraus, und deren sensationeller Erfolg dürfte für Renault ausschlaggebend gewesen sein: der 2CV von Citroën. Der R4 ist, wie schon oft festgestellt wurde, eine weit konsequentere Neuausgabe des berühmten super-primitiven 2 CV als dessen legitime Weiterentwicklung, der Citroën Ami Six. Das ist besonders frappierend, weil sich Renault, Frankreichs größte Automobilfabrik, damit in den Geruch begibt, ausgerechnet ein Erzeugnis der wichtigsten Konkurrenzfirma Citroën kopiert zu haben.
Aber im Automobilgeschäft entscheiden letzten Endes kaufmännische Überlegungen, und die besagten offenbar, daß der Nachfolger des 4CV (der 4CV war noch ein "richtiges Auto") ein "Primitiver" werden sollte. Eine kluge und – wie sich inzwischen zeigte – erfolgsträchtige Überlegung. Man sagte sich vermutlich, daß ein Auto, das in Preis und Unterhaltskosten noch unter der Dauphine liegen sollte, nicht noch kleiner und enger sein durfte. Man hatte das Beispiel, wie ein billiges und trotzdem höchst praktisches Fahrzeug aussehen muß, vor der Tür; und man war durch den Verkaufserfolg des 2 CV sogar der Sorge enthoben, ob ein solches Fahrzeug "ankommen" würde.
Aber man hat auch den 2 CV nicht sklavisch kopiert. Die Nachahmung liegt mehr auf dem ideellen als auf dem konstruktiven Gebiet. Zugschaltungen sind bei Frontantriebswagen schon eine uralte Sache; daß man anstelle des früher üblichen Pistolengriffes den viel handlicheren dicken runden Knopf des 2 CV anbrachte, ist verzeihlich und verständlich. Die Sitze mit einfachen Stahlrahmen und hängenden Polstermatten waren zuletzt auch im Renault 4 CV schon zu finden. Die Kombiwagenform mit Hecktür hat der 2 CV nicht, und der Frontantrieb ist eine Lösung, die sich für Fahrzeuge dieser Art geradezu anbietet.
Darum ist der Radstand des R4 rechts und links unterschiedlich
Die raumsparende Federung und Radaufhängung – man könnte von Unterflurfederung sprechen – hat beim R4 ihr eigenes Gesicht: vorn Querlenker mit längsliegenden Torsionsstäben, hinten Längslenker mit querliegenden Torsionsstäben, die hintereinander angeordnet sind, so daß bei gleicher Länge der Längslenker das rechte Hinterrad etwa fünf Zentimeter weiter zurückliegt als das linke, und beinahe waagerecht angebrachten Teleskopstoßdämpfern. Das Ergebnis – weiche, langhubige Federung – ist das gleiche wie beim 2 CV, aber es ist mit besseren Eigenschaften verknüpft: der R4 schaukelt und nickt nicht so stark wie der 2CV, seine Seitenneigung in Kurven ist – nicht zuletzt dank eines vorderen Querstabilisators – weniger auffällig.
Der Motor ist ein Vierzylinder, derjenige des früheren Renault 4CV, und wesentlich leistungsfähiger als der Zweizylinder des Citroën 2CV. Der Vorderradantrieb hat homokinetische Gelenke, wodurch die Lenkung von störenden Antriebseinflüssen frei ist. Die Bremsen erhielten einen Bremskraftverteiler, der die Gefahr des bei frontlastigen Wagen sonst leicht eintretenden Blockierens der Hinterradbremsen vermeidet.
Ein Vernunft-Auto: günstig, anspruchslos, praktisch
Das Wort "Vernunft" ist im Zusammenhang mit Autos in den letzten Jahren schon häufig strapaziert worden. Aber auch der Renault 4 ist ein Vernunft-Auto. Er stellt minimale Ansprüche, ist einfach zu warten, leicht zu reparieren, genügsam im Verbrauch und erfüllt seinen Zweck als Fortbewegungsmittel vollständig. Er ist kein vollwertiges Auto im Sinne des heutigen Fernverkehrs, aber ein ideales Kurzstrecken- und Zweckfahrzeug. Als Einkaufs- und Stadtgefährt, als Arbeiter- und Materialtransportwagen, als Feld-, Wald- und Wiesenauto kann man sich kaum etwas Besseres vorstellen. Als Allein-Kleinwagen erscheint er weniger geeignet, als Zweck-Gefährt jedoch weist er durch Komfort, Innenraum, Wandlungsfähigkeit, Anspruchslosigkeit und nicht zuletzt durch seinen günstigen Preis beachtliche Vorzüge auf.
Reinhard Seiffert
Technische Daten Renault 4
Motor und Getriebe:
Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, Dreiganggetriebe mit Kulissenschaltung, 2. und 3. Gang synchronisiert, Einscheiben-Trockenkupplung, Vorderradantrieb mit homokinetischen Gelenken
Karosserie und Fahrwerk:
Tragende Bodengruppe mit verschraubter Karosserie, vorn Einzelradaufhängung an Querlenkern mit längsliegenden Torsionsstäben und Querstabilisator, hinten Einzelradaufhängung an Längslenkern mit querliegenden Torsionsstäben, hydraulische Teleskopstoßdämpfer vorn und hinten, Zahnstangenlenkung, Trommelbremsen mit Bremskraftverteiler