Siegerauto mit deutschem Technik-Leckerbissen
Was ist das für ein Auspuff?
Vor allem die ungewöhnliche Abgasanlage fällt beim diesjährigen Best-of-Show-Gewinner beim Pebble Beach Concours d'Elegance auf. Sie stammt aus Leipzig und zeugt von mutiger Ingenieurskunst.
25.08.2025 Gregor Hebermehl
Was für ein Auspuff! Beim Pebble Beach Concours d’Elegance 2025 gewann ein Hispano-Suiza H6C Nieuport-Astra Torpedo aus dem Jahr 1924 den Titel "Best of Show". Schon seine spektakuläre Holzkarosserie mit 8.500 Nieten ist außergewöhnlich. Doch das für Auto-Enthusiasten vielleicht noch faszinierendere Detail verbirgt sich an der linken Fahrzeugseite: eine eigenwillige Abgasanlage, die eher an Flugzeug- als an Automobiltechnik erinnert.
Der Auftraggeber: André Dubonnet
Das Auto hatte seinerzeit der französische Pilot, Rennfahrer und Olympionike André Dubonnet in Auftrag gegeben. Dubonnet war ein Abenteurer und Innovator, dessen Familie sich mit einem Aperitif gleichen Namens ein Geschäft aufgebaut hatte. Sein Hispano-Suiza startete bei der Targa Florio und der Coppa Florio, bevor er zum begehrten Sammlerstück avancierte. Seine aktuellen Eigentümer Penny und Lee Anderson haben das Fahrzeug 2022 für 9,245 Millionen Dollar (aktuell umgerechnet zirka 7,94 Millionen Euro) gekauft. Lee Anderson ist fasziniert von meisterlich verarbeitetem Holz und hat eine veritable Holzboot-Sammlung. Deshalb zog ihn der Hispano-Suiza magisch an – und er hat ihn concoursfähig restaurieren lassen. Der Preis dafür dürfte den Kaufpreis deutlich übertroffen haben.
Nieuport-Astra: Flugzeugbau trifft Automobil
Die Karosserie entwarf der Flugzeugbauer Nieuport-Astra, berühmt für seine aerodynamischen Konstruktionen. "Tulipwood Torpedo" heißt der Wagen, da seine Verkleidung aus Mahagonistreifen besteht. Mit seinem Flugzeugrumpf-Look passte der Hispano-Suiza perfekt in die Gentleman-Aviator-Welt seines ursprünglichen Fahrers.
Der Steigboy-Vakuum-Auspuff
Besonders ins Auge fällt die Abgasanlage mit den runden, scheibenförmigen Kammern und dem beinahe herzförmigen Rohrverlauf. Sie trägt eine Plakette mit der Aufschrift "Steigboy". Dies ist ein Hinweis auf die Leipziger Firma Steigboy Apparatebau, wie The Drive herausgefunden hat. 1921 von Friedrich August Boysen gegründet, hatte sich die Firma auf Abgasschalldämpfer und Ansaugschalldämpfer für Autos, Motorräder und Flugzeuge spezialisiert. Boysen war ein Pionier der Schalldämpfertechnik und entwickelte die sogenannte "Vakuum-Abgasanlage" oder den "Ejektor-Schalldämpfer".

Blick auf die auf der linken Wagenseite montierte Steigboy-Abgasanlage von oben.
Funktionsweise: Reaktive Schalldämpfung
Anders als moderne Schalldämpfer mit Dämmmaterialien setzte Boysen auf Geometrie und Strömungslehre:
- Expansion: Nach dem Krümmer dehnen sich die Abgase in den kugeligen Volumen schlagartig aus. Der Druckabfall reduziert die Schallspitzen.
- Lenkung: Eine schräge Prallplatte gegenüber dem Auslass lenkt die Gase.
- Drallerzeugung: Spiralförmige Leitflächen im Auslasshals beschleunigen den Gasstrom und erzeugen einen Unterdruck im Hauptvolumen. Ziel war es, zwischen den Arbeitstakten eine leichte Zylinderspülung zu bewirken.
Theorie und Praxis
Die Ingenieure der 1920er-Jahre glaubten, mit dieser Technik sowohl eine Geräuschreduktion als auch eine bessere Leistungsentfaltung zu erreichen. In der Praxis war der Effekt messbar, aber nicht dauerhaft und zu aufwendig in der Fertigung. Der Steigboy-Vakuum-Auspuff blieb deshalb eine technische Rarität, die sich nicht in der Serie durchgesetzt hat.

Das Siegerauto gehört Penny und Lee Anderson - Lee Anderson hat auch eine umfangreiche Sammlung feinster Holzboote.
Historische Bedeutung
1922 rüstete Boysen Motorräder mit seinen Auspuffsystemen aus, die auf der Berliner AVUS siegten. Damit bewies er den sportlichen Nutzen seiner Idee und nutzte den Erfolg zu Werbezwecken. Neben Motorrädern und Flugzeugen fand das System nur in wenigen Automobilen Anwendung – umso bemerkenswerter, dass Dubonnets Hispano-Suiza damit ausgestattet ist.
Von Steigboy zu Boysen
Die Firma Steigboy Apparatebau ging 1930 im Zuge der Weltwirtschaftskrise pleite. Friedrich August Boysen baute daraufhin die Abgasanlagenfertigung bei Eberspächer auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete er in Stuttgart die Friedrich Boysen GmbH, deren Firmensitz er 1949 nach Altensteig verlagert hat. Die heutige Boysen Group ist ein international aktiver Zulieferer von Abgasanlagen, Batteriekästen und Wasserstoff-Speichersystemen. Der Hispano-Suiza mit Steigboy-Auspuff ist somit ein wertvolles Bindeglied zwischen experimenteller Ingenieurskunst der 1920er und moderner Automobiltechnik.