Silvretta Classic 2010

Die Geheimnisse des Oldtimer-Rallyesports

Christian Geistdörfer führt beim Rallye-Lehrgang in die Geheimnisse des Oldtimer-Rallye-Sports ein. Und er gibt die drei wichtigsten Regeln für eine erfolgreiche Teilnahme. Gleich im Anschluss können die Teilnehmer das Gelernte in die Praxis umsetzen.

Silvretta Classic 2010 - Vortag - Beifahrerlehrgang Foto: Kai Klauder 30 Bilder

Passanten wundern sich, Motoren heulen auf und ab und zu hört man das Quietschen von durchdrehenden Reifen. Wo manche Zuschauer auf Reifentests, andere auf Kindergeburtstag tippen, geht es um die Feinheiten einer Oldtimerrallye.

Theorie und Praxis des Oldtimer-Rallyesports

Ab 15.00 Uhr rollen die Teilnehmer des Rallye-Lehrgangs auf den Übungsplatz. Nach dem theoretischen Unterricht von Christian Geistdörfer und Harald Koepke steht nun die praktische Umsetzung auf dem Programm. Auf dem Platz ist ein Parcours mit zwei Prüfungen aufgebaut. Aufgabe ist es, beide in der vorgegebenen Zeit zu durchfahren.

Zwei Arten von Zeitmessung gibt es bei der Silvretta. Zum einen die Lichtschrankenmessung, bei der die Messung ausgelöst wird, sobald die Lichtschranke durchbrochen wird. Hier gilt es, die Dimensionen des Fahrzeugs gut abschätzen zu können.  Zum anderen gibt es die Schlauchmessung, bei der die Messung beim Überfahren eines Luftschlauches ausgelöst wird. Für die Neulinge im Oldtimer-Rallyesport ist sie einfacher. Beim Überfahren bekommen die Teams eine Rückmeldung, außerdem können sich die Beifahrer aus dem Fenster lehnen und dem Fahrer ansagen, wann der Schlauch überrollt wird.

"Die Harmonie zwischen Fahrer und Beifahrer ist das Wichtigste"

Schon zum neunten Mal ist Leo Wilhelm bei der Silvretta Classic als Leiter der Zeitnahme dabei und koordiniert ein eingespieltes Team von 20 Zeitnehmern. Er weiß genau, worauf es ankommt und gibt den Teilnehmern wertvolle Tipps. Der Ludwigshafener Motorsportfan betrieb lange aktiv als Beifahrer Rallyesport, doch als sich Nachwuchs ankündigte, hängte Wilhelm seinen Helm an den Nagel. Statt bei der Vorderpfalz- oder der Trifels-Rallye in Opel Ascona, Kadett oder Peugeot 104 vom Beifahrersitz die Kommandos zu geben, wechselte er an den Streckenrand und stoppt die Zeiten bei Rallye- und Rennveranstaltungen als Zeitnehmer.

"Man sieht während des Trainings die Fortschritte. Wenn die Teams 15 bis 10 Mal die Schlauch- und Lichtschrankenprüfung absolviert haben, kriegen sie ein Gefühl für das Auto und sind schon recht gut eingespielt - und das ist überhaupt das Wichtigste: Die Harmonie zwischen Fahrer und Beifahrer."

13 plus X Wertungsprüfungen

Die Silvretta Classic-Teams erwarten insgesamt 13 Wertungsprüfungen plus zusätzliche geheime Prüfungen. Besonders schwierig sind dabei die so genannten Rollprüfungen, bei denen die Fahrzeuge auf einem starken Gefälle auskoppeln müssen, bevor sie in die WP einrollen. Hier darf also nur mit der Bremse reguliert werden - "wer zu stark in die Eisen geht, hat die Prüfung dann versemmelt", weiß Leo Wilhelm, der sich jedes Jahr auf die Silvretta freut - trotz seines engen Zeitplans. Alleine von Juni bis August stehen sieben Veranstaltungen in seinem Terminkalender. "Die Silvretta mit ihrer alpinen Kulisse, den alten Traumautos, die über die traumhaften Pässe durch die Bergwelt fahren ist absolut faszinierend."

Messung wie bei Rallye-Weltmeisterschaft

Zum Einsatz bei der Silvretta Classic, der Sachsen Classic und der Eifel Classic kommt modernstes Zeitnahme-Equipement, das auch bei der Rallye-WM eingesetzt wird. "Bei der elektronischen Zeitübernahme senden die Chronographen die Daten, die in einer Computeranwendung zusammengefasst werden. Ein Mitglied unseres Teams fährt nach dem letzten gemessenen Fahrzeug die Strecke ab und sammelt die Daten bei den WPs zusammen und sendet sie per E-Mail an das Auswertungsteam. Das besteht aus Wulf Biebinger, Gerhard Bernatz und Hans-Peter Elsner, die sich sogleich an die Auswertung machen. So werden die Wertungsprüfungen schon längst ausgewertet, wenn die letzten Fahrzeuge ins Ziel rollen.

Herausforderungen für die Rallye-Novizen

Cornelius Dornier und Matthias Herrmann starten in einem Ferrari Dino GT aus dem Jahr 1974. Auf die Silvretta Classic sind Dornier und Herrmann über einen Beitrag in auto motor und sport-TV aufmerksam gemacht worden. "Und durch die Empfehlung von Jockel Winkelhock", sagt Herrmann. Zwar haben beide schon Erfahrungen bei historischen Rundstreckenrennen gesammelt, doch sie nehmen zum ersten Mal an einer Oldtimer-Rallye teil.

"Wir wollen ein schönes Wochenende verbringen, das Top-Wetter genießen und viel Spaß haben", beschreibt Fahrer Matthias Herrmann die Erwartungen. Der Besitzer der schwarzen Flunder Dornier erklärt: "Das ist ja alles ganz neu für uns. Zum ersten Mal müssen wir mit Roadbook, Schlauch- und Lichtschrankenmessung umgehen." Die Fortschritte zeigen sich schnell. Nach nur wenigen Durchgängen freuen sich die beiden Münchner darüber, wie gut es funktioniert. "Die Theorie ist sehr anspruchsvoll. Die richtige Herausfordeung kommt aber erst morgen, wenn wir den ersten Bock schießen. Denn im Fahrfluss ist das bestimmt noch mal 'ne ganz andere Sache."

Messeauto mit Tanzsaal-Charakter

Fritz Cirener und Peter Lill sind in einem auffälligen Chevrolet Bel Air Station Wagon unterwegs und drehen ihre Runden auf dem Übungsplatz. "Das Auto ist in dieser Ausstattung sehr selten", erklärt Firtz Cirener, Leiter der Bosch Automotive Tradition, "es war das Messeauto von Blaupunkt, in dem die neuen Hifi-Komponenten angepriesen wurden." Beifahrer Peter Lill, Leiter Motorsport Presse beim ADAC ist vor allem von der analogen Klimaanlage begeistert: "Die vorderen Ausstellfenster werden mit einer zweiten Fensterkurbel betätigt - so etwas habe ich noch nie gesehen."

Lill und Cirener sind Rallye-Novizen und lassen sich überraschen, was auf sie zukommt. "Das, was wir tun, versuchen wir gut zu tun, und wenn was schief läuft, haben wir halt was zum Lachen." Die beiden starten in der Sanduhrklasse, in der nur analoge Stoppuhren zugelassen sind. Auf dem vorderen Kotflügel klebt ein roten Klebestreifen, der akribisch mit Hilfe eines Lotes postitioniert wurde, und die Höhe der Reifenaufstellfläche markiert – für die Schlauchprüfung.

Drei Tipps vom Rallye-Weltmeister

Christian Geistdörfer, Ex-Rallye-Weltmeister als Beifahrer von Walter Röhrl, vermittelt den Rallye-Lehrgang-Teilnehmern den richtigen Umgang mit Roadbook, Stoppuhren und den Wertungsprüfungen. Drei heiße Tipps hat der Profi für die Novizen: "Das Fahren auf der Straße geht ganz easy. Das, was herausragend ist, sind die Prüfungen." Und da sollten die Teams auf drei Sachen achten: Erstens die Vorbereitung. "Sich entsprechend gut vorbereiten, ist Gold wert. Denn während der Veranstaltung müssen die Teams alles parat haben. Wenn da etwas nicht sitzt, siehts schlecht aus."

Zweitens die Kommunikation: "Die Verständigung zwischen Fahrer und Beifahrer ist enorm wichtig. Der Beifahrer sollte den Fahrer in die Verantwortung mit einbeziehen und rechtzeitig und umfassend informieren." Der dritte Tipp von Christian Geistdörfer ist der Wichtigste: "Immer für den Spaß fahren. Denn das ist doch eigentlich alles, um was es hier bei der Silvretta Classic geht. Im schönen alten Autos auf traumhaften Straßen die Rallye zu genießen."

Die Tipps hat er auch an seinen Sohn Florian weitergegeben, der zum ersten Mal selbst bei einer Oldtimer-Rallye an den Start geht. Gemeinsam mit seinem Schulfreund Michael Kitter fährt er die drei Etappen der Silvretta Classic in einem Mercedes 280 SL von 1968. "Mein Ziel ist klar: Schneller sein als Daddy - Ach Quatsch, das geht ja gar nicht, wir sind aus Spaß an der Freud dabei."  Geistdörfer Junior und Kitter, beide 1983 geboren, sind mit dem Motorsport aufgewachsen und begeistern sich für Autos - egal wie alt. Kitter der als Art Director Werbekampagnen für Mercedes-Benz kreiert: "Da entwickelt man natürlich eine Liebe zu der Marke. Eines meiner Traumautos ist ein Mercedes 107, weil ich immer auf dem Kinderkarussel mit dem gefahren bin - er stand zwischen Hubschrauber und Flugzeug. Und so einen will ich mir bald kaufen."