BMW i4 & Polestar 2 im Test

Schicke Mittelklasse-Stromer im Duell

Noch schnell ein Elektroauto zusammenzimmern? Verbrenner raus, Batterie, Motor und Inverter rein – und ab in den Showroom. So einfach könnte man BMW i4 und Polestar 2 auf ihren Mischplattformen als professionelle Improvisationen abstempeln. Warum hier Profession über Improvisation steht, zeigt der Vergleichstest.

BMW i4, Polestar 2 Foto: Rossen Gargolov 18 Bilder

Schon 1969 rupfte BMW die Vierzylinder aus zwei 1602, verpasste den Autos E-Antriebe und ließ sie drei Jahre später bei den Olympischen Spielen in München als Begleit- und Organisationsfahrzeuge auftreten. Und heute im i4? Gibt’s quasi dasselbe, nur mit Lithium-Ionen- statt Bleibatterien, mit achsparalleler Synchronmaschine statt einem längs eingebauten Motor im Getriebetunnel und mit bis zu 590 km Reichweite nach WLTP statt deren 60. Sagen wir es so: Es war kein Zufall, dass der 1602 Elektro die Geherwettbewerbe und nicht das 100-km-Mannschaftszeitfahren der Radsportler begleitete.

Obwohl der Polestar crossoverig wirkt, ist er nur drei Zentimeter höher als der deutlich coupéhaftere i4.

Und der Polestar? Das Nordstern-Logo schürt Erwartungen an ein komplett eigenständiges Produkt. Doch warum hat der Polestar dann einen Mitteltunnel im Innenraum und wirkt mit leicht erhöhter Bodenfreiheit so, als hätte man eine Limousinen-Karosserie auf ein Crossover-Chassis gesetzt? Nun, weil es genau so ist. Die CMA-Plattform ist nicht nur die Basis für den Polestar 2, sondern auch für den Volvo XC40. Ganz nebenbei baute man beim Facelift von Front- auf Heckmotor um. Die permanenterregten Synchronmaschinen sind neu, die Batteriekapazitäten und Reichweiten höher.

Drückt man nun aufs Strompedal, bewegt sich richtig was. Statt 170 greifen nun 220 kW an der Antriebsachse an. Noch besser: Mit Heckantrieb gewinnt das Handling an Heiterkeit. Leicht lastwechselnd und sich neigend, tendiert der Polestar auf Winterreifen zum Übersteuern. Der ESP-Sport-Modus erlaubt kleine Gierwinkel, bevor präzise Eingriffe erfolgen. Weitere fahrdynamisch relevante Einstellmöglichkeiten? Nur zwei Lenkungsmodi – fertig.

Dabei ist es gerade die Lenkung, die Feinarbeit bräuchte, wegen ihres etwas ungleichmäßigen Rückstellmoments und des tauben, feedbacklosen Gefühls. Auf der Teststrecke schlägt sich der 2er längs- und querdynamisch mit griffigen Sommer-Contis wacker. Effizienz und Reichweite passen ebenfalls.

Nur bei der Geräuschdämmung scheint Polestar im Jahr des 1602 stehen geblieben zu sein: 72 dB(A) bei 130 km/h entsprechen dem Level diverser Dreizylinder-Kleinwagen. Dazu trägt auch das straffe Fahrwerk bei, das jede Bodenwelle akustisch kommuniziert, dabei aber noch halbwegs ordentlich federt – wenngleich erst ab 80 km/h. In der Stadt buckelt es auf kurzen Absätzen.

Modern Talking & Touching

Die Fahrerassistenz hat Probleme, die vor ihr liegende Fahrspur zu erkennen, was oft zu Bremsungen in Autobahnkurven aufgrund von Lkw auf der rechten Spur führt. Auf die Verkehrszeichenerkennung ist kein Verlass. Dafür funktioniert die adaptive Spurführung, und wenn der Adaptivtempomat stört, kann man auf einen normalen Tempomaten im Assistenzmenü wechseln.

Modernes, Volvo-inspiriertes Cockpit mit Google-Maps-Navigation im Polestar 2.

Menüs: das Stichwort für die Bedienung. Neben Lenkradtasten sowie einem Lautstärke-Drehregler gibt es kaum haptische Bedienelemente. Der Rest wie Klimaanlage und Fahrerassistenz liegt im Menü. Positiv: die saubere Gliederung, die großen, klaren Symbole und die brauchbare Sprachsteuerung. Im Einstellmenü wird es dagegen recht kleinteilig und zu allem Überfluss nicht vollständig. Bestimmte Einstellungen müssen in separaten Menüs und Apps getätigt werden. Ein Beispiel: Der Polestar zeigt ab Werk nur eine WLTP-basierte Reichweite an. Zum Umstellen muss man die App "Range Assistant" aufrufen und dann im dortigen Optionsmenü auf Realreichweite umschalten. Navigiert wird mit Google Maps, Laderoutenplanung inklusive. Beim Stromfassen unterhalten YouTube oder Amazon Prime, lässig.

Vor allem nach oben ist der Polestar-Fond eingeschränkt.

Eine Reihe weiter hinten zwängt man sich durch kleine Türen in einen kopffreiheitsbegrenzten Raum. Ebenfalls kompakt: der Kofferraum. Und klar sind die rahmenlosen Außenspiegel schick, wer aber mal bei Regen oder Salzsprühnebel fährt, weiß, warum Spiegelgläser üblicherweise im Gehäuse sitzen. Die aufgrund der schlechten Übersichtlichkeit so wichtige Rückfahrkamera passt sich nicht im Geringsten an Dunkelheit an.

Lustig und leise

Im BMW i4 ist vieles klarer, nicht nur die Kamerasicht bei Nacht. Die Lenkung zum Beispiel gibt sich noch etwas nichtssagend und taub um die Mittellage, gefällt im weiteren Verlauf aber mit ordentlicher Präzision und dem nötigen Feedback. Überhaupt fährt der i4 richtig schön. Sein Gewicht von über 2,1 Tonnen lässt ihn besser federn als alle anderen Mittelklasse-BMW. Die straffe Grundnote des M-Adaptivfahrwerks und die tolle Aufbaukontrolle bleiben, das sanfte Ansprechen und gefühlvolle, schnelle Ausschwingen von Bodenwellen ist neu.

25,4 kWh/100 km benötigt der BMW inklusive Ladeverlusten im Test. In Reichweite ausgedrückt: 354 km.

Der Geräuschkomfort ist auf einem anderen Level als beim Polestar 2. Mit 66 dB(A) bei 130 km/h liegt er nur ein dB(A) hinter einem Mercedes EQS. Fahrwerksgeräusche dämmt der i4 vorzüglich, und selbst beim Handling engineerte man die markenbildende Kurvenwilligkeit gekonnt am hohen Gewicht vorbei. Die Front spurt, das Heck folgt oder tanzt auf Provokation via Lastwechsel oder, nun, Stromschlag aus der Reihe. Rund 55 Prozent der Gesamtmasse ruhen auf der Hinterachse. Auf der Teststrecke werden sie lebendig, zum Teil zu sehr.

Der BMW wedelt mit dem Heck wie in besten Zeiten. Trotzdem reicht es, den Polestar in allen Dynamikdisziplinen zu übertrumpfen. Mit warmer M-Sportbremse steht der – noch mal: 2,1 Tonnen schwere – i4 nach nur 31,8 Metern. Dank gut appliziertem Sport-ESP lässt sich sein spürbar heckgetriebenes Naturell auch auf der Straße erleben. Klar, beim knackigen Anlenken und schnellen Richtungswechseln braucht er eine Gedenkzehntel länger als ein regulärer 4er – die Massenträgheit lässt grüßen.

Elektrische Drehfreude

Obwohl sich sonst Reihensechser in der Front langmachen, gibt es keinen Frunk.

Im Gegensatz zum Polestar setzt BMW auf einen stromerregten Synchronmotor. Der braucht keine seltene Erden, da er ohne Permanentmagnet auskommt. E-Auto-untypisch fühlt er sich beim Autobahn-Überholvorgang noch fast so kraftvoll an wie beim Losbeschleunigen auf dem Einfädelstreifen. Denn: Bei fremderregten Motoren fällt das Drehmoment bei höheren Drehzahlen nicht so stark ab. Abgesehen von der ebenfalls nicht überzeugenden Verkehrszeichenerkennung hält der BMW i4 eDrive40 souverän Abstand und Spur im assistierten Fahrmodus.

Bei der Effizienz liegen beide gleichauf, erst zurückhaltend gefahren hat der BMW leichte Vorteile gegenüber dem ebenfalls effizienten Polestar 2 L. R. S. M. Die 80,7-kWh-Batterie des i4 trägt übrigens 550 kg zum Gesamtgewicht bei. Das 360 kg schwere Batteriepaket des 1602 Elektro konnte oder musste man wechseln, um sich endlose Ladezeiten zu ersparen. Schließlich fassten die Bleibatterien nur 12,6 kWh.

Beim BMW i4 reicht eine halbe Stunde, nur auf Video-Streaming muss man verzichten. Da bleibt Zeit, sich mit dem Innenraum zu befassen, der ergonomisch wie qualitativ das hohe BMW-Niveau erreicht, sieht man von den scheppernd zufallenden Türen ab. Das neue Betriebssystem OS 8.5 verbessert die Bedienung, da es über einen zentralen Home-Button mit Direktzugriffen verfügt. Zudem darf der Dreh-Drück-Steller nun wieder das Klimamenü steuern. Laderouten plant der i4 zuverlässig und schnell.

Ein ergonomisch ausgefeiltes Cockpit mit guter Qualität und haltstarken Sitzen im BMW.

Erweiterte Cleverness zeigt sich vor allem bei der immens umfangreichen Sprachsteuerung und der Erkennung von Gewohnheiten. Diese Funktion öffnet Fenster an regelmäßig angefahrenen Parkhauseinfahrten oder warnt morgens bei immer gleichem Weg zum Arbeitsplatz vor Verkehrsbehinderungen, selbst wenn das Navi nicht aktiviert ist.

Aber auch dem i4 merkt man an seinem mickrigen Platzangebot die Verbrennerursprünge an. Der Fond lässt sich leichter entern als der des Polestar, die Sitzposition ist dafür angewinkelter bei ebenfalls knappem Kopfraum. Immerhin ist der BMW übersichtlicher. Abgesehen von seinen karosserieseitigen Nachteilen wirkt der i4 so fertig und zu Ende entwickelt, wie es als Heiland besungene Start-up-Mobile oder chinesische Marktnewcomer gerne wären. Er transportiert die sportliche Mittelklasse, die einst mit der Neuen Klasse und dem 02 begann, in die elektroautomobile Gegenwart – noch bevor die neue Neue Klasse kommt.

440 km schafft der Polestar 2 auf der Eco-Runde. Der bei gemäßigter Fahrweise noch sparsamere BMW kommt 483 km weit.

Sein einziges Problem? Er ist der Teuerste im Segment. Seinen mit Extras angefütterten Preis kann man sich nur damit schönreden, dass es aufgrund seiner unterhaltsamen Fahrdynamik den stärkeren, stumpferen und weniger effizienten i4 M50 gar nicht braucht. Der Polestar ist trotz chinesischen Ursprungs nicht günstig. Er benötigt das Plus-Paket (4.800 Euro), da sonst keine Wärmepumpe an Bord ist (Serie im BMW). Begleitfahrzeuge der E-Mobilität sind beide nicht. Sie fahren voraus.

Fazit

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1. BMW i4 eDrive40 638 Punkte
2. Polestar 2 L. R. S. M. 591 Punkte