Porsche 911 GT2 RS im Supertest

Power und Leichtbau schlägt Carrera GT

Der Porsche 911 GT2 RS zeigt im Supertest, ob Porsches neuer Über-Elfer die Performance des legendären Mittelmotorsportwagens Carrera GT toppen kann. Mit Heckmotor, 620 Turbo-PS und Hinterradantrieb über die Nürburgring-Nordschleife.

Porsche 911 GT2 RS Foto: Rossen Gargolov 30 Bilder

Der Vorwurf schmerzte gleich zweimal: Erstens die Beschwerde selbst und zweitens die Tatsache, dass sie nicht unbegründet war. Der Fahrbericht des neuen Porsche 911 GT2 RS sei inhaltlich flach geblieben. Er habe nichts von dem vermitteln können, was diesen auf 500 Stück limitierten, vermutlich stärksten Serien-Elfer aller Zeiten in Wirklichkeit ausmache. Aussagekräftige Fahreindrücke hätten gefehlt. Man vermutete am Ende, dass es der Autorin angesichts der gebotenen Potenz die Sprache verschlagen habe.

So falsch ist die Vermutung nicht: Was hätte sie beim Fahrbericht im Umfeld von Stuttgart-Zuffenhausen schon über die Fahrleistungen schreiben sollen? Woran hätte der Unterschied zwischen einem Porsche 911 Turbo und dem Porsche 911 GT2 RS festgemacht werden sollen, außer an der nominellen PS-Zahl, der angegebenen Höchstgeschwindigkeit, der Ausstattung und des Preises? Was hätte bezüglich der Unterschiede in der Bremsleistung gesagt werden können? Was über die - vermutete - Steigerung in Sachen Fahrdynamik?

Der Supertest des Porsche 911 GT2 RS gibt Antwort

Wenn Worte es nicht ausdrücken können, müssen Zahlen her - oder man hält besser den Mund. Aber wer will die dazugehörigen Fakten im öffentlichen Straßenverkehr eruieren? Wer so vermessen ist und versucht, auf der Landstraße die mit Sportreifen in diesem Fall möglichen Querbeschleunigungen von bis zu 1,5 g auszuloten, oder - noch anspruchsvoller - die feinen Unterschiede zwischen dem bisherigen Porsche 911 GT2 und der aktuellen, um rund 70 Kilo leichteren Porsche 911 GT2 RS-Variante auf dem Weg zum Bäcker herauszufinden, hat noch keine Grenzbereich-Erfahrungen gemacht - zumindest nicht solche, die sich mit fahrdynamischen Daten hinterlegen lassen.

Die Sprachlosigkeit, die einen im Porsche 911 GT2 RS erfasst, ist - so verrückt es klingt - technisch zwangsverordnet. Das liegt per se nicht etwa daran, dass der Fahrer vor der nominell stattlichen Größe der PS-Zahl (620) mental kapitulieren oder vor dem riesigen Drehmoment-Berg (700 Newtonmeter) ergeben in die Knie gehen müsste.

Auch die magische Ziffernfolge, die für die Vmax der Porsche 911 GT2 RS-Variante mit Biturbo-Antrieb steht - 330 km/h - raubt niemandem aus der PS-Szene ernsthaft die Sprache - sofern nicht der unbedingte Zwang besteht, den Wahrheitsgehalt dieser Zahlenreihe auf der Autobahn jederzeit nachvollziehen zu müssen. Begründet annehmen zu dürfen, dass die Werksangabe erfüllt wird, reicht in der Regel völlig aus. Schließlich sind die wirksamen Parameter in puncto Längsdynamik - vornehmlich Motorleistung und Aerodynamik - eher überschaubare Größen.

Die zunächst andächtige Stille im gewiss nicht luxuriösen, Kennern des Porsche 911 GT2 RS-Umfelds aber geläufigen Interieur ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass es bisher noch kein landgestütztes Sportgerät gab, das die eigene Unbekümmertheit so vehement mit seinen technisch ausgefeilten Reizen untermauert hätte. Wenn viele andere seiner Zunft laut, in der Bedienung gewöhnungsbedürftig und im Umgang zickig sind, dann ist diesem preislich gleichfalls abgehobenen Über-Elfer eine verführerische Komponente zu eigen, der man auch als abgeklärter Routinier nur mit extremer Willensstärke widerstehen kann.

Die Frage, ab wann schnell zu schnell ist, lässt sich angesichts des hier wirksamen Potenzials nicht mehr literarisch abhandeln, oder - ganz und gar lächerlich - an den Grenzen der Legalität festmachen. Die auf der Nürburgring-Nordschleife avisierten Zeitkorridore - Porsche verspricht für den 911 GT2 RS eine Rundenzeit von 7.18 Minuten -, sind mittlerweile so weit jenseits von Gut und Böse, dass der Versuch im Test, die durchaus realistischen Vorgaben nachzuvollziehen, im beengten Zeitfenster einer Testfahrt am Ring leicht in einer Enttäuschung enden kann - für wen, das steht auf einem anderen Blatt.

Porsche 911 GT2 RS rauscht am GT3 RS vorbei

Das Übereinanderlegen der beiden Data-Recording-Aufschriebe von den Supertests des bisherigen Spitzenreiters der RS-Faktion, der Saugmotor-befeuerte, 450 PS starke Porsche 911 GT3 RS, und des nun mit beispielloser Biturbo-Power antretenden Porsche 911 GT2 RS, fördert geradezu Dramatisches zu Tage: Während die Kurvengeschwindigkeiten - wie angesichts der vergleichbaren Konditionierung nicht anders zu erwarten - auf etwa gleichem Niveau liegen, rauscht der Porsche 911 GT2 RS auf den Beschleunigungsetappen und den langen Geraden mit einem Tempoüberschuss an dem Porsche 911 GT3 RS vorbei, als sei Letzterem seitens der Regie taktische Zurückhaltung verordnet worden: mit 275 km/h am Schwedenkreuz und 300 km/h auf der Döttinger Höhe. GT3 RS: 258 beziehungsweise 276 km/h.

In Wahrheit ist es nichts anderes als die schiere Kraft von 170-Mehr-PS, die dem mit einem etwas schlechteren cW-Wert rennenden, andererseits um 13 Kilogramm leichteren Porsche 911 GT2 RS den Vorsprung sichern. Die Art und Weise, wie der Biturbo bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus den Puschen kommt, grenzt an Zauberei: Der Begriff "berauschend" erhält in Einwirkung dieser mit allen Fasern ihrer sehnigen Statur kokettierenden Fahrmaschine eine ganz neue Bedeutung - was auch der eindrucksvollen Akustik des Biturbo-Aggregats geschuldet ist. Mit solcher Lässigkeit geht‘s mit atemberaubendem Schub voran, dass der Protagonist glatt meinen könnte, mit mindestens einem Drittel mehr als den angegebenen 620 PS konfrontiert zu sein.

Dass der Über-Elfer hinsichtlich der Lautstärke vergleichsweise eher gesittet als Szenetypisch laut und noch dazu charakterlich seidig und geschliffen anstatt grobmotorisch zu Werke geht, ist ein Novum in dieser abgehobenen Szene, die bisher mehrheitlich durch optische und akustische Extrovertiertheit von sich reden macht. Geschenkt ist daher die Tatsache, dass der aus Gewichtsgründen ausschließlich mit manuellem Getriebe erhältliche Spitzen-RS sich im Sprint bis 100 km/h zum Beispiel einem mit Doppelkupplungsgetriebe und Allradantrieb antretenden Porsche 911 Turbo S beugen muss. Aber 3,5 Sekunden bis Tempo 100 km/h - wer will angesichts dieser kurzen Zeitspanne im Takt eines Wimpernschlags meckern, zumal Beschleunigungsorgien aus dem Stand heraus kaum reizende Aspekte bieten?

Bei hohem Tempo kennt der Porsche GT2 RS keine Gegner

Bis auf 200 km/h oder gar 300 km/h ausgedehnt, kennt ein voll beschleunigter Porsche 911 GT2 RS in der Praxis dann allerdings keinen Gegner mehr: 9,8 Sekunden dauert der Sprint bis 200 und nur 28,6 bis 300 km/h. Und weil der Sechszylinder-Boxer sein volles Drehmoment von 700 Newtonmeter bereits bei knapp über 2.000/min bereithält, bietet sich der sechste Gang durchweg als universelle Fahrstufe an. Selbst damit noch völlig unangestrengt allem und jedem um die Ohren fahren zu können, ist ein seltenes Privileg, das einer von Leistungsdruck gebeutelten Psyche gesunde Entlastung beschert.

Dass der vermutlich schnellste Straßen-Elfer das Tempo-Machen trotzdem in geradezu anzüglicher Weise herausfordert, steht freilich in direktem Zusammenhang mit der Professionalität, die im Umfeld dieser Spitzenkraft vom Antriebsstrang ausnahmslos offenkundig wird. Dabei waren die technischen Spielräume der im Rennsportzentrum in Weissach angedockten Performance-Abteilung für GT-Fahrzeuge sicher weniger groß, als das Ergebnis in der Summe vermuten lässt. Akribische Feinarbeit bis hinein in die Niederungen der nun vermehrt mit Kugellagern ausgestatteten Radaufhängungen und bis in die Substanz der Stahlkarosserie sind trotz genereller Beibehaltung des technischen Status Quo scheinbar erfolgsträchtiger, als in die große Ressourcenkiste technischer Neuheiten zu greifen.

Leichtbau-Philosophie mit Wirkung

Dem Thema Leichtbau wurde mit gutem Grund in einer Konsequenz gehuldigt, die fast schon an Selbstgeißelung grenzt und am Ende sogar das Markenemblem die nur wenige Gramm schwere Substanz kostete. Das Porsche-Wappen klebt jetzt als Folie auf der aus Sichtkarbon gebackenen Fronthaube des Porsche 911 GT2 RS, womit es als neuer Botschafter der Leichtbau-Philosophie nun der latenten Gefahr ausgesetzt ist, der zerstörerischen Fingernagel-Prüfung anheimzufallen. Die spaßeshalber anberaumte Suche nach weiteren Möglichkeiten, das Gewicht dieses auf zwei Sitze beschränkten Coupés zu reduzieren, erschöpft sich schnell angesichts der erfolgreich betriebenen Bemühungen, konsequent auf alles zu verzichten, was dem praktizierendem Sportfahrer entbehrlich erscheint.

Fast überall dort am Porsche 911 GT2 RS, wo es sicherheitstechnisch unbedenklich ist, fällt der Blick auf das extrem leichte, piekfein verarbeitete Karbonmaterial: Der Kofferraumdeckel, die vorderen Kotflügel, die Außenspiegel, die Einlässe für die Ladeluftkühler, das Heckmittelteil und die unteren Heckblenden machen insgesamt rund 10,5 Kilogramm Gewichtsersparnis aus. Die Heckscheibe aus Polycarbonat ist mit minus 4,0 Kilogramm dabei.

Weiter geht‘s im Innenraum des Porsche 911 GT2 RS: Die Türverkleidungen bringen eine Einsparung von 0,7 kg. Der Wegfall des Cupholders macht 1,5 kg aus, und der spezielle Teppichboden mit einer geringeren Dämmung steht mit minus vier Kilogramm in der Bilanz. Das Ergebnis überrascht nicht nur deshalb, weil der Porsche 911GT2 RS trotz aufwändigerer Biturbo-Technik und größerem 90-Liter-Tank weniger auf die Waage bringt als die jüngste Saugmotor-Variante Porsche 911 GT3 RS. Diese wiegt mit nur 67 Liter großem Tank 1.417 Kilogramm; der Porsche 911 GT2 RS 1.405 Kilogramm. Der federgewichtige Auftritt erstaunt vor allem deshalb, weil im Innenraum der Eindruck vermieden wird, mit einem blechernen Klangkörper vorliebnehmen zu müssen, der die zivilisatorischen Grundbedürfnisse außer Acht lässt.

Die roten Alcantara-Bezüge unterm Dach, auf den Sportsitzen und am Lenkradkranz sind nicht nur ein sympathischer, sondern auch haptisch hochwertiger Farbtupfer im zwar überwiegend sachlich gehaltenen, den Erfordernissen entsprechend aber perfekt gestalteten Interieur. Hinter den ergonomisch grandios geschnittenen Karbonschalen und dem dahinter kreuzweise angeordneten Überrollbügel herrscht konsequenterweise die Leere eines zwar weitgehend sinnfreien, andererseits gewichtsneutralen Luftraumes.

Die gähnende Öffnung inmitten der Konsole muss beim Porsche 911 GT2 RS nicht zwangsweise leer bleiben: Entweder wird der Raum für die nachträgliche Installation eines Data-Recording-Systems genutzt - was allerdings in Eigenregie geschehen muss -, oder die dort angestammte Klima- und Audioanlage wird doch noch auf die Bestellliste gesetzt. Das hat zwar - wie generös! - keinen weiteren Aufpreis zufolge, belastet aber das Gewichtskonto und nicht zuletzt auch die Balance. Die Frage ist allerdings, welche stärker in Mitleidenschaft gezogen wird - die des Autos oder die der Besatzung. Unser Tipp: Die rund 20 Kilo mehr auf der Vorderachse sind sicher eher zu verkraften als kräfte- und konzentrationszehrende Hitzewallungen im Cockpit.

An der sich in jedem Fall immer und überall zu 100 Prozent einstellenden Begeisterung angesichts der fahrdynamischen Brillanz ändert das eine Pfund mehr oder weniger nämlich nichts. Allerdings muss man wissen: Das Delta im Zielkorridor, das zwischen dem liegt, was theoretisch möglich ist und dem, was das Individuum daraus macht, geht im Porsche 911 GT2 RS zwangsläufig deutlich weiter auseinander als in der Liga unterhalb dieses fahrdynamischen Überfliegers. Das hat nichts mit der fraglos begeisternden Qualität hinsichtlich der Fahrbarkeit zu tun: Es ist das geradezu Schwindel erregende Level, das nun den Fahrer so unvergleichlich stark ins Fadenkreuz der Ereignisse rückt.

Rundenzeiten unter 7:30 waren früher unmöglich

Die Anfang Oktober bei moderaten Temperaturen von 20 Grad Außen- und 25 Grad Asphalttemperatur auf der Nordschleife erreichte Rundenzeit von 7.24 Minuten im Porsche 911 GT2 RS war deshalb nicht grundlos Anlass für Freude und Enttäuschung zugleich: Freude über ein geglücktes Abenteuer, das wegen der dramatischen Ausschüttung von Glückshormonen nach permanenter Wiederholung schreit - vorzugsweise allerdings unter weniger Zeitdruck. Enttäuschung, weil die im Raum stehende Werksvorgabe um sechs Sekunden verfehlt worden war. Es dauerte allerdings nicht lange, bis auch der Porsche-Mann ein Einsehen zeigte: "Zeiten unter der 7.30-Minuten-Marke hätte vor einigen Jahren niemand für möglich gehalten." Und, mit Sorgenfalten auf der Stirn, fügt er hinzu: "Selbst nachvollziehen möchte ich das natürlich nicht."

Fazit

70

Mit dem Porsche 911 GT2 RS im Supertest beginnt eine neue Zeitrechnung. Und mit ihr womöglich auch eine Diskussion darüber, wo es mit der Fahrdynamik straßenzugelassener Sportwagen noch hingehen soll ... Die Zeit für einen Runde Nordschleife - 7.24 Minuten - ist begeisternd und erschreckend zugleich. Begeisternd, weil es vor ein paar Jahren noch als völlig undenkbar galt, auch nur in die Nähe solcher Zeitregionen zu kommen. Erschreckend, weil es Tempobereiche sind, die bisher ausschließlich von Rennwagen-gleichen beziehungsweise reinrassigen Sportgeräten im Wettbewerbsumfeld erreicht worden sind. Der Porsche 911 GT2 RS ist aber nicht nur fahrdynamisch auf dem Niveau hoch spezialisierter und daher im schnöden Alltagsbetrieb meist versagenden Preziosen unterwegs, sondern macht gleichzeitig einen auf umgänglich und zivil: In seiner von keiner Kratzbürstigkeit getrübten, bekannten Elfer-Art und dank seines durchaus auch Fahrkomfort darstellenden PASM-Fahrwerks taugt dieser Höhepunkt der Porsche Elfer-Baureihe mit kleinen Einschränkungen auch zum täglichen Brötchen holen. Das Nasshandling-Resultat im Supertest außer Acht gelassen, brilliert dieser fahrdynamische Überflieger mit absoluter Höchstpunktzahl.