Porsche 911 GT3 im Supertest

Neuer Straßensportler setzt Bestmarke

Die neue sportliche Speerspitze im Porsche-Aufgebot, der 911 GT3, hat mit bisher nie erreichter Höchstpunktzahl eine neue Bestmarke im sport auto-Supertest gesetzt – eine Geschichte vom blauen Wunder am Ring.

Porsche 911 GT3 Foto: Rossen Gargolov 34 Bilder

Mit Erfolgsgeschichten ist das so eine Sache: Die Gefahr, dass sie irgendwann einmal abreißen könnten, lässt sich nicht von der Hand weisen. Die Gründe dafür können so unterschiedlich und vielfältig sein wie das Leben selbst: Ideenlosigkeit, Arroganz, interne Querelen, politische Wirren oder einfach nur eine schlechte Großwetterlage. In diesem Fall hilft nur eins – konsequent am Ball bleiben, beharrlich den einmal eingeschlagenen Kurs verfolgen und vor allem: Die Arbeit machen, statt große Töne zu spucken.
 
Seit zehn Jahren Porsche 911 GT3
 
So betrachtet, scheint im Umfeld der GT3-Modellreihe in den vergangenen zehn Jahren ihrer Existenz alles richtig gemacht worden zu sein. Denn an durchschlagendem Erfolg hat es dem sportlichsten aller Elfer bisher in keiner seiner Ausbaustufen gemangelt. Jedesmal aber, stets kurz vor der Einführung des nächsten Modells oder neuesten Updates, wurde die bange Frage laut, wie es denn wohl gelingen soll, der sportlich zunehmend herausfordernd auftretenden Konkurrenz unter strikter Beibehaltung aller seit Jahrzehnten gepflegten Prinzipien aufrecht Paroli bieten zu können. Und jedesmal fiel die Stahl und Alu gewordene Antwort überzeugend, wenn nicht gar überwältigend aus – siehe die Supertests der entsprechenden GT3-Versionen in den Ausgaben 8/1999, 6/2003, 3/2004, 7/2006 und 3/2007.
 
Auch die neueste Fassung des aus der legendären RS-Tradition heraus entstandenen Erfolgsreihe hält es mit der von den Vorgängern vorgelebten Philosophie, wonach der Politik der kleinen Schritte tendenziell eine höhere Erfolgsquote beschert ist als einem Umsturz beziehungsweise einer technischen Revolution - sofern sie nur langfristig angelegt ist und mit dem notwendigen Maß an Leidenschaft und Sachverstand verfolgt wird.

20 PS Mehrleistung und erhöhtes Drehmoment
 
Was das klassische und werbetechnisch immer wieder gern verwendete Erfolgs-Parameter – die PS-Zahl – angeht, lässt sich der neue 911 GT3 kaum nennenswert aus der Reserve locken, was in Zeiten noch immer anhaltender Leistungseskalation auf dem Sportwagen-Sektor schon ein selbstbewusstes Unterfangen ist. Die 20 PS Mehrleistung und das erhöhte Drehmoment, mit denen der Neue gegenüber dem Vorgänger wuchern kann, nimmt man zwar gern mit, misst ihnen aber im Wissen um ihre praktische Relevanz weniger Wert zu als gemeinhin angenommen.
 
Folgerichtig steht die motorische Einflussgröße auch für die Verantwortlichen hinter dem GT3-Projekt erst an dritter Stelle – hinter dem Komplex Aerodynamik und dem an erster Stelle rangierenden Bereich Fahrwerk und Reifen – also jenen beiden Stellhebeln, die in letzter Konsequenz zumeist nur im Motorsport bewegt werden. Mit den banalen Formeln „Mehr Sturz gleich höhere Kurvengeschwindigkeiten“ oder „Der Gurney wird‘s schon richten“ ist es in diesen extrem komplexen Wissenschaftsbereichen nämlich schon lange nicht mehr getan. Ein Beispiel gefällig? Dass ein in seiner Lage nicht ganz fest fixiertes, zentnerschweres Gewicht im hinteren Kofferraum großen Einfluss auf das Fahrverhalten in Kurven haben kann, lässt sich mit etwas Phantasie leicht ausmalen.
 
Motor wird vom Chassis entkoppelt
 
Diese etwas plump klingende Analogie erläutert aber anschaulich, welch kleinkariert klingende Problematiken etwa auch in Form des neuen, dynamischen Motorlagers PADM (Porsche Active Drivetrain Mount) aufgegriffen werden – wohl wissend, dass konventionelle Verbindungen zwischen Motor und Chassis angesichts ihrer komplexen Aufgabenstellung bei sportlicher oder gar rennmäßiger Fahrweise oft nur bedingt tauglich sind. Einerseits sollen sie den Motor vom Chassis dergestalt entkoppeln, dass keine Schwingungen oder Vibrationen übertragen werden. Andererseits sollen sie den Motor so unverrückbar fixieren, dass er in scharf gefahrenen Kurven keine störenden Massenimpulse verursacht. Eine mit magnetischen Partikeln angereicherte Flüssigkeit, deren Viskosität ein durch die bereits vorhandene Sensorik gesteuertes elektrisches Feld verändert, schafft diesen schwierigen Spagat, den Porsche laut eigenem Bekunden bisher exklusiv darstellen kann.
 
Was die Laufkultur des auf 3,8 Liter vergrößerten Sechszylinder-Saugers angeht, darf der Maßnahme schon mal Erfolg bescheinigt werden. Sowohl das sachte Schütteln des nun auch an der Auslassnockenwelle mit dem Verstellmechanismus VarioCam ausgerüsteten Sechszylinders im Leerlauf als auch dessen über den ganzen Drehzahlbereich als seidenweich empfundener Lauf sind absolut glaubwürdige Indizien für die tadellose Funktion des neuen Systems. Die durch das PADM hinzugewonnenen Talente in puncto Fahrdynamik sind subjektiv deutlich schwieriger zu erfassen, wenngleich bei näherer Betrachtung auch hierfür das eine oder andere Indiz existiert.
 
Sprint von Null auf 100 km/h in 4,1 Sekunden
 
Die Stempelneigung bei scharfen Beschleunigungsmanövern aus dem Stand mit hoher Ausgangsdrehzahl ist zwar auch beim neuen GT3 nicht ganz verschwunden, aber im Vergleich zu den Vorgängern signifikant reduziert. Inwieweit das mit jeder Supertestprüfung immer deutlicher an Qualität gewonnene GT3-Profil in Sachen Fahrverhalten und Fahrdynamik auf das Konto dieser aus Laiensicht nebensächlich erscheinenden Maßnahme im Bereich der Motorlager geht, lässt sich nur schwer beziffern. Die Väter des GT3 billigen ihrem Jüngsten aufgrund solcher und ähnlicher Tricks im sensiblen Umfeld der Achskinematik jedenfalls einen qualitativen Zugewinn in messbarer Größe auch und vor allem im Bereich der Querdynamik zu.

Porsche GT2-Gene im neuen GT3-Modell
 
Der mit den bekannt-vorzüglichen Fahrwerks-Genen des inzwischen ausgemusterten 911 GT2 antretende Kultsportler GT3 sollte also dem Vernehmen nach nicht nur geradeaus, sondern auch in Kurven deutlich mehr Talent beweisen als sein direkter Vorgänger. Um es kurz machen: Die Differenz zwischen Soll und Haben geht nicht nur gegen null – sondern das Haben überwiegt bei Weitem, und zwar in allen relevanten Kriterien. Der Auftritt des in auffälliger (und leider aufpreispflichtiger) Sonderfarbe Riviera-Blau lackierten Zweisitzers geriet in Summe derart überzeugend, dass es für die Konkurrenz geradezu erdrückend wirken muss, mit welcher Souveränität der sich optisch wohl nur Kennern der Materie als neuer GT3 offenbarende Sportler die Grenzen neu markiert.
 
Der bis auf eine Ausnahme – die 0-200-0-Prüfung – sechsmal mit der Höchstpunktzahl zehn bedachte Supersportler verschafft sich zudem höchsten Respekt durch das seltene Kunststück, seine fahrdynamische Klasse ohne die bisher meist üblichen Einschränkungen in der Alltagstauglichkeit beweisen zu können. Die bei Grenzbereich- optimierten Pretiosen oft unweigerlich in Kauf zu nehmenden Charaktereigenschaften in Form von Spurrillenempfindlichkeit, bockigem Federungskomfort, sprödem Abrollverhalten oder ermüdenden Akustik-Beiträgen sind dem GT3 nachhaltig ausgetrieben worden. Das sachgerecht zwischen annehmbarem Fahrkomfort auf der einen und extrem tauglichem Sport-Setup auf der andere Seite differenzierende PASM-Fahrwerk offenbart in seiner logisch aufgebauten Kennlinien-Charakteristik nun sehr nachvollziehbar die Vorteile des dualen Systems. Hier ruckelt und zuckelt rein gar nichts, weder in der Warmlaufphase noch im Stauverkehr.
 
Alltagstauglichkeit nicht ausgeschlossen
 
Der Motor kling kernig, speziell wenn die Sporttaste gedrückt ist, dröhnt aber nicht. Auch die immer noch aufpreispflichtige Keramikbremse gibt keinen Laut von sich – kurzum: Der 911 GT3 vermag seine begeisternden Anlagen in Sachen positiver und negativer Beschleunigung im schnöden Alltag durch ein umgängliches und mit allen zur lieben Gewohnheit gewordenen Gimmicks ausgestatteten Umfeld so gekonnt zu verschleiern, dass auch auf weniger Brisanz bedachte Insassen in diesem hochqualifizierten Zweisitzer ihren Frieden finden können. Die deutlich verbesserten Fahrwerksqualitäten des Über-Elfers können vermutlich diejenigen eher nachvollziehen, denen an einer spannenden Hochgeschwindigkeits-Orgie mehr gelegen ist als an gesteigerter Querdynamik, als jene, denen die Erfahrung der maximal möglichen Querkräfte doch mehr am Herzen liegt – schlicht aufgrund der sehr eingeschränkten Gelegenheiten, in Tuchfühlung mit den bis zu 1,4 g starken Querkräften gehen zu können.
 
Die aerodynamischen Eigenschaften, speziell die Abtriebswerte, sind trotz der optisch noch immer einigermaßen zurückhaltend gestylten Bewehrung in Form von Flügelwerk und Frontsplitter von solch überragender Qualität, dass das Erkunden des erst bei über 310 km/h endenden Hochgeschwindigkeitsbereichs zu einer zwar immer noch sehr aufregenden, nun aber gern in Angriff genommenen Unternehmung wird. Die Geradeauslaufqualitäten sind in einem Maß verbessert, dass man den GT3 als ehemals etwas launischen Geradeausläufer kaum wiedererkennt. Wie an der imaginären Schnur gezogen, zieht er lässig und unbeeindruckt seine Bahn. Das Lenkrad liegt durch die vertikalen Radbewegungen zwar nicht bewegungslos, aber vergleichsweise ruhig in der Hand.

Fahrsicherheit, die im Elfer-Umfeld Maßstäbe setzt

Die Handflächen bleiben selbst dann trocken, wenn die Fahrbahnoberfläche in extrem schnell gefahrenen Autobahnbiegungen das Feder/Dämpfersystem bis aufs Äußerste fordert. Der an beiden Achsen deutlich wirkende Abtrieb sorgt im Verbund mit den geometrischen Optimierungen an den Radaufhängungen für eine Fahrsicherheit, die im Elfer-Umfeld bisher für undenkbar gehalten wurde. Bei Versuchen auf der Hochgeschwindigkeits-Teststrecke in Papenburg hat der GT3 laut Porsche bei abrupt ausgeführten Spurwechseln Querbeschleunigungen von einem g realisieren können, ohne auch nur ansatzweise mit dem Heck zu wackeln – und dies bei Tempo 300 km/h.

Man darf es gar nicht laut sagen: Wenn sich das Reisetempo bisher unter anderem auch wegen der dominanten Fahrgeräusche bei etwa 220 km/h einpendelte, so sind es heute gut 250 km/h, die im GT3 locker und entspannt als Grundtempo angenommen werden dürfen. Neben dem Ground-Effekt und dem deutlich zivilisierteren Fahrkomfort ist es freilich die Gabe des nach wie vor auf dem Motorgehäuse des legendären 911 GT1 aufgebauten Sechszylinders, der einen mittels seiner exorbitanten Leistungsbereitschaft in jedem sich bietenden Moment geradezu zwingt, ihn exzessiv zu fordern.

Er hängt am Gas wie elektrisiert und dreht seidig und geschliffen in Drehzahlregionen, in denen andere schon den Ladungswechsel verweigern würden. Das in anderen Modellen angebotene automatisierte Doppelkupplungsgetriebe wird nach anfänglicher Enttäuschung über den zwangsweisen Verzicht schon deshalb nicht vermisst, weil das konventionell zu bedienende Sechsganggetriebe in Funktion und Handhabung keine Wünsche offen lässt. Es hätte sich außerdem belastend auf einem Gebiet ausgewirkt, das im GT3 höchste Priorität genießt: Sein Mehrgewicht hätte die vielen kleinen sichtbaren und versteckten Initiativen zur weiteren Gewichtsminimierung komplett zunichte gemacht. Und das wäre ja nun doch schade gewesen, wenn zu konstatieren gewesen wäre, dass ausgerechnet der Porsche 911 GT3 schwerer geworden ist.

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Fazit

69

Kaum zu glauben: Wenige, auf den ersten Blick kaum zu erfassende und mehrheitlich im dunklen Bereich der Materie vorgenommene Modifikationen haben ausgereicht, um den schärfsten aller Sport-Elfer zum wiederholten Mal aufs Treppchen zu bringen. Mit 79 von 80 möglichen Punkten führt der Porsche 911 GT3 die Supertest-Bestenlisten nunmehr souverän an. Das Verfehlen der Maximalpunktzahl allein in der Beschleunigungs- und Bremsprüfung lässt sich insofern leicht verschmerzen, als der mit - sorry - vergleichsweise bescheidenen 435 PS antretende Sportwagen-Klassiker schon aufgrund seiner Definition nicht zur Fraktion der Autobahn-Bolzer gezählt werden will. Dass er nunmehr auch geradeaus so fantastisch agiert und mit großer Zugeständnisbereitschaft sich auch den weniger auf Fahrdynamik gepolten Insassen öffnet, ist deshalb ein markiger Wendepunkt, weil er zugleich die von ihm erwartete Fahrdynamik so begeisternd beherrscht. Rekorde im 18- und 36-Meter-Slalom sowie im Ausweichtest pflastern den neuen Weg. So, wie er sich gegenüber dem Vorgänger auf der Nordschleife und auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim in Szene setzt, wird die Frage, was dannach kommen soll, noch spannender. Der Hubraumzuwachs hat, abgesehen von der nominellen Steigerung auf dem Gebiet der PS- und Drehmomententwicklung, schöne Nebenwirkungen: Sein Ton ist bei gleicher Faszination nicht ganz so schreiend und die Lässigkeit, die sich in Einflussbereich des Motors breit macht, noch ausgeprägter.