Porsche 911 Turbo S im Supertest

Der Alleskönner mit scharfem S

Er taugt zum Cruisen, Rasen, Repräsentieren, Transportieren, Driften und sogar zum Segeln. Der neue Porsche 911 Turbo S will nicht bloß ein starker Supersportler sein, sondern auch ein praktikabler Alleskönner. Ob das seiner Seele guttut?

Porsche 911 Turbo S, Frontansicht, Driften Foto: Rossen Gargolov 24 Bilder

Die schärfste Konkurrenz erwächst fast immer aus den Reihen des eigenen Teams. Besonders unter Motorsport-Profis hat sich diese Erkenntnis so weit durchgesetzt, dass in der Praxis des Wettbewerbs vom viel zitierten „Ziehen an einem Strang“ nur noch in Ausnahmefällen die Rede sein kann. Die spezielle Form des Gegeneinanders hat unterm Strich jedoch auch ihr Gutes: Die sich in vertrauter Gegnerschaft gegenüberstehenden Teammates schaukeln sich gegenseitig hoch. Stimmen die Resultate, kann’s dem Chef nur recht sein.

Interne Konkurrenz hat auch gute Seiten

Hausinterne Teamduelle werden auch bei Porsche gelebt – wenn auch offiziell nicht bestätigt: Hier herrscht eine elektrisierende Konkurrenz zwischen der Großserien-Abteilung, also dort, wo unter anderem der Porsche 911 Turbo S entsteht, und der auch räumlich unabhängig arbeitenden Sportabteilung, die für den Bau der straßenzugelassenen GT-Fahrzeuge, wie etwa des neuen 911 GT3, verantwortlich zeichnet.

Beide greifen selbstredend auf dieselben Ressourcen zurück und setzen sich selbstverständlich mit derselben technischen Basis auseinander – naheliegenderweise mit unterschiedlicher Schwerpunkt-Bestimmung.

Auch wenn die Rädelsführerschaft in Sachen Fahrdynamik nominell eindeutig bei der Sportabteilung in Flacht liegt: So leicht lässt sich ein ausgewachsener Serien-Turbo, noch dazu in der neuen Version als Porsche 911 Turbo S, nicht von der Platte putzen. Da ist nicht nur sein Nimbus als jahrzehntelange Sportwagen-Referenz vor.

Porsche 911 Turbo S (991) ist die 8. Turbo-Variante

Der Führungsanspruch ist ihm schon vor gut 40 Jahren, quasi beim Aus-der-Taufe-heben, als Bürde in die Wiege gelegt worden, und auch die jüngste, nunmehr achte Turbo-Variante darf keine Gnade vor der eigenen Bruderschaft aus Flacht kennen.

Aber keine Bange: Mit dem von der Sportabteilung projektierten GT2-Topmodell auf Basis dieser neuesten Porsche 911 Turbo S wird das hausinterne Ranking sicher wieder geradegerückt werden. Zu welch fahrdynamischer Klasse das in letzter Konsequenz führen wird, mag man sich angesichts der bisher erlebten Turbo-Power jedenfalls gar nicht ausmalen...

Dabei ist es bei erster Bestandsaufnahme weniger die atemberaubende Schnelligkeit als vielmehr die ungeheure Geschmeidigkeit, die selbst das S-Modell im Alltag an den Tag legt – trotz der forcierten Heranzüchtung zusätzlicher rennsportlicher Gene. Jüngere Heißsporne könnten auf Grund dessen fast eine Attitüde von Langeweile ausmachen. Gut zu wissen, dass der Porsche 911 Turbo S diesem Eindruck locker zu begegnen weiß.

Voll alltagstauglicher Supersportler

Angesichts der gelebten Konzilianz ist er unterm Strich derjenige unter den Supersportlern, dem die sportliche Ader im Alltag trotz ihrer geradezu boshaften Ausprägung am wenigsten anzumerken ist. Die völlige Ausblendung auf Dauer misslicher Eigenarten wie dröhnender Stimmlage, holprigem Abrollkomfort oder irritierendem Geradeauslauf – um nur einige mögliche Konsequenzen bei hoch entwickelter Fahrdynamik zu nennen -, kommt einer wundersamen Zusammenführung zweier eigentlich entgegengesetzter Pole gleich.

Der Porsche 911 Turbo S kann leise, zivilisiert und komfortabel – unter anderem dank eines perfekt abgestimmten adaptiven Dämpfersystems und einer wirksamen Klappenanlage in der Abgasanlage.

Er gibt sich keine Blöße, weder bei Hitze, Kälte, Regen noch Schnee. Selbst im Stop-and-go-Verkehr fühlt man sich in dieser – man möchte sagen – exzellent getarnten Boden-Boden-Rakete – gut untergebracht und unterhalten.

Bei allem Wachstum – siehe verlängerter Radstand und noch breiter ausgestellten Radhäusern – ist auch dieser Elfer-Typ ein in Größe und Übersichtlichkeit überschaubarer Sportwagen geblieben, noch dazu einer mit konkurrenzlos guter Raumökonomie.

Segeln und Sprit sparen

Dass man mit dem Porsche 911 Turbo S auch „segeln“, den Verbrauch damit auf unter zehn Liter drücken kann und trotz der serienmäßigen Sportreifen – Dunlop SportMaxx Race – auch auf regennasser Fahrbahn angemessen zügig und sicher vorwärtskommt, geht gleichfalls als nicht zu verachtendes Zugeständnis in die Praktikabilitäts-Bilanz ein.

Angesichts solch streberhaften Benehmens fällt es einem wie Schuppen von den Augen, wenn der immerhin mit knapp 200.000 Euro zu taxierende Porsche 911 Turbo S von der Leine gelassen wird.

Die Übermacht seines nominell 560 PS starken und mit normalerweise 700 Newtonmeter Drehmoment antretenden Biturbo-Motors kündigt sich bereits unter wesentlich unspektakuläreren Bedingungen als auf der Autobahn oder einer Rennstrecke an.

So locker-flockig und geschliffen, wie es mit diesem Allmächtigen gelingt, andere Verkehrsteilnehmer förmlich aufzuschnupfen oder die 300-km/h-Schallmauer aus dem Stand innerhalb von 31 Sekunden zu reißen, geht das mit kaum einem anderen Auto.

Den Sprint auf 100 km/h legt der Porsche 911 Turbo S in kurzen drei Sekunden zurück – und bis zum Erreichen der 200-km/h-Marke vergehen nur sieben Sekunden mehr, in Summe macht das also gerade mal zehn Sekunden.

Virtuelle Zwischengänge im Porsche 911 Turbo S

Turbo-Gedenksekunden und Schaltpausen (was war das noch mal?) sind dank variabler Turbinen-Geometrie samt Overboost-Funktion und Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe in der Unkenntlichkeit verschwunden. Stattdessen wartet das PDK neuerdings sogar mit virtuellen Zwischengängen auf, die den Verbrauch und den Fahrkomfort noch weiter verbessern helfen sollen.

Sie werden bei konstanter, ruhiger Fahrweise eingesetzt, um die Drehzahl zu senken. Etwa dann, wenn der nächsthöhere Gang die untere Drehzahlgrenze des Motors unterschreiten würde. Dazu legt die Getriebesteuerung des Porsche 911 Turbo S die beiden benachbarten Gangstufen ein – das geht! – und regelt die beiden Kupplungen gleichzeitig auf definierten Schlupf ein.

Unter Gas schaltet das Getriebe schließlich blitzschnell zurück in den passenden „realen“ Gang. Das geschieht, genauso wie die sogenannte Segel-Funktion, bei der der Motor im Schiebebetrieb kraftstoffsparend in den Leerlauf zurückfällt, unmerklich verschliffen und soll dank der im Ölbad laufenden Kupplungen auch völlig verschleißfrei sein.

Kerniger Sound unsichtbar im Heck

Mit etwas Häme könnte auch der Sechszylinder-Biturbo als virtuelle Kraftmaschine bezeichnet werden. Zu sehen ist von ihm im Heck des Porsche 911 Turbo S nämlich rein gar nichts mehr.

Angemessene Kompensation leistet er in Form des bekannt kernigen und anregenden, aber nie aufdringlichen Turbo-Sounds, der, bedingt durch die hohen Druckverhältnisse in der Motor-Peripherie, bei hohen Drehzahlen an das Rauschen gewaltiger Stromschnellen erinnert.

Bei der im serienmäßigen Sport Chrono-Paket enthaltenen Overboost-Funktion erhöht sich bei gedrückter Sport- oder Sport-Plus-Taste der maximale Ladedruck im mittleren Drehzahlbereich für bis zu 20 Sekunden noch einmal um 0,15 bar. Das erhöht das maximale Drehmoment des Porsche 911 Turbo S kurzfristig auf 750 Newtonmeter und verbessert sogar den inneren Wirkungsgrad. Mit Rücksicht auf die Haltbarkeit sind die sechs Kolben natürlich entsprechend verstärkt.

Die dabei noch immer extrem kultivierte, ja seidige Art der Leistungsexplosion hat etwas Traumwandlerisches, oder besser: Magisches. Das liegt zu einem nicht unwesentlichen Teil auch am Support der vielen helfenden Systeme drum herum: Der stark überarbeitete Allradantrieb mit zusätzlicher Wasserkühlung an der Vorderachse etwa, dessen elektrohydraulisch gesteuerte Lamellenkupplung für eine noch schnellere und gezieltere Kraftverteilung sorgt.

Fahrdynamischer Quantensprung

Die optimierte Zusammenarbeit von Motor, PDK und Allradantrieb ermöglicht im Porsche 911 Turbo S nicht nur ein gänzlich atemberaubendes Sprintvermögen – und zwar fast unabhängig von der Fahrbahnbeschaffenheit. Auch fahrdynamisch ist den Porsche-Ingenieuren hier wieder ein Quantensprung gelungen.

Sei es der verlängerte Radstand um 100 Millimeter in Kombination mit der an beiden Achsen verbreiterten Spur (42 mm vorn/49 mm hinten) oder die aktive Hinterachslenkung in enger Symbiose mit dem Torque Vectoring-System und dem neuen variablen Stabilisator-System, das die Wankwinkel der Karosserie auf ein Minimum reduziert – vielleicht auch alles zusammen im Paket mit den dynamischen Motorlagern und der neuen aktiven Aerodynamik: Der Porsche 911 Turbo S stellt sich als genialer Kurvenkünstler dar – egal, in welchem Radiusbereich er gefordert wird. Noch dazu als einer, der sein tatsächliches Gewicht – 1.595 Kilogramm – wie kein Zweiter verheimlichen kann.

In Puncto Wendigkeit nimmt es der Porsche 911 Turbo S locker mit einem Kleinwagen auf – angesichts dieser völlig artfremden, geschmeidigen Einfügung in städtische Labyrinth-Systeme böte sich direkt ein Vergleichstest im engsten aller Parkhäuser an.

Genussvoll lenken im Porsche 911 Turbo S

Einen wesentlichen Beitrag zum herausragenden Handling liefert auch die Lenkcharakteristik, die auf wundersame Weise begeisternde Agilität generiert und zugleich beruhigende Sicherheit auch bei hohem Tempo vermittelt. Durch ihre gelassenere, um nicht zu sagen: weniger spitze, Umsetzung der Lenkbefehle kommt es fast einem Kinderspiel gleich, die anvisierten Fahrbahnpunkte exakt und ohne Nachkorrektur zu treffen. Hinzu kommt ein Eigenlenkverhalten, wie es nachvollziehbarer und verlässlicher nicht sein kann – besser geht’s nicht.

Nach allem, was uns der neue Porsche 911 Turbo S zu sagen hat, scheint es so, als bedürfe es tatsächlich der Hilfe seines Allradantriebs, um einen positiven Beitrag der an der Hinterachse aktiv mitgelenkten Räder vollumfänglich zur Geltung bringen zu können.

Dem gleichfalls mit Allradlenkung ausgerüsteten, aber „nur“ an der Hinterachse angetriebenen 911 GT3 (Supertest Heft 11/2013) war es in letzter Konsequenz nämlich nicht vergönnt, diesen Beweis anzutreten. Aber: Was nicht ist, das kann ja noch werden...

Fazit

98

Ich sag’s wirklich nur ungern, aber wir haben es hier ziemlich sicher mit dem aktuell besten Auto der Welt zu tun. Die Überzeugungskraft des neuen Turbo reicht von der Ausfahrt aus dem innerstädtischen Parkhaus bis hin zum Zielstrich jeder sich anbietenden Rennstrecke.
Die entwaffnende Umgänglichkeit, die grundsolide Machart, das immense Leistungspotenzial und die in jedem Detail nachvollziehbare, hohe Ingenieurskunst – Porsche hat sich wieder einmal selbst übertroffen. Angesichts dieses fahrdynamisch neuen Meilensteins im Sportwagenbau kann man nur den virtuellen Hut ziehen.