Volvo P1800 S im Test

Kultschwede stellt sich modernen Testmethoden

Es war mal Zeit für ein bisschen heile Welt und einen Filmstar aus Schweden in unserer Reihe „Der Alte im Test“. Als der Volvo P1800 S nach Hockenheim kommt, bullerbüt es im Badischen. Wie schlägt sich der Schwede im modernen Test?

Volvo P1800 S, Front Foto: Hans-Dieter Seufert 18 Bilder

Gerade die späten Wochen des März bieten sich wenig für meteorologische Selbsttäuschung an. So wird an diesem nebeldunklen Morgen die eigene Vorhersage, es könne sich da nur um einen milden Frühlingsschauer handeln, von Starkregen weggespült. Weil es noch dauern wird, bis du den Schalter mit der Aufschrift „Fläkt“ endlich den Funktionen von Lüftung und Defroster zuordnen wirst, ist die Seitenscheibe ein Stück offen, so nieselt es rein, doch beschlagen die Fenster nicht weiter. Die Scheibenwischer sind Beispiele betörender Mechanik, sicher verfügen sie über bemerkenswerte Talente. Die Frontscheibe zu wischen zählt aber nicht dazu. Träge schubsen sie Regen übers Glas. Es könnte also alles nicht besser sein.

Volvo P1800 S, Front Foto: Hans-Dieter Seufert
So ein Coupé darf Volvo gerne mal wieder bauen.

Um dich wie zu Hause fühlen zu können, musst du erst mal irgendwo zu Hause gewesen sein. Manche müssen lange suchen, um herauszufinden, wie weit dieses Gefühl von zu Hause zurückreicht. Wir müssen nur in den Aufzug steigen, runter nach U2, da steht er im fahlen Licht der Tiefgarage: der Volvo P1800 S.

Übrigens hält so einer den Kilometerrekord: Irv Gordon fuhr mit seinem über 4,8 Millionen Kilometer. Es lohnt sich also, im Volvo heimisch zu werden. Als er 1961 auf den Markt kommt, bauen sie bei Volvo den buckeligen 544, den Amazon und als ersten Kombi den Duett. Es ist die Ära, in der sich diese Volvoness entwickelt, die jedes Modell der Marke noch heute in sich trägt – ein Gefühl, dass ein Auto auch ein Zuhause sein kann, das durch Verlässlichkeit entsteht, durch Solidität und durch trutzige Behaglichkeit. Wir steigen ein, die schwedenstählernen Türen fallen ins Schloss und sperren alles draußen aus. Vielleicht erklärt das auch, warum es bei Volvo mit den Cabrios nie so recht geklappt hat: Dieses Vermischen von drinnen und draußen gehört sich nicht – das wäre wie ein U-Boot mit Sonnendeck.

Das wissen sie bei Volvo schon 1957, als sie mit der Entwicklung eines Nachfolgers des P1900 Sport Cabrio beginnen, dessen Verkaufserfolg nach zwei Jahren Bauzeit und insgesamt 68 Exemplaren zum Erliegen kommt. Um das Design des neuen Coupés (der Shooting Brake ES folgt erst 1970) kümmert sich Pelle Petterson, der bei Pietro Frua in Turin gearbeitet hat. Das Unterzeug übernimmt der P1800 vom Amazon. So soll das Coupé solide und zuverlässig werden. Soll. Doch Volvo beschließt, das Auto bei Jensen Motors bauen zu lassen. Die bringen die Karosserien von Pressed Steel in Schottland per Zug ins Werk West Bromwich, wo es mühelos gelingt, bei der Produktion alle Qualitätserwartungen von Volvo zu unterbieten. 6.000 Exemplare und drei Jahre später holt Volvo die Produktion ins eigene Werk Lundby bei Göteborg, ändert die Bezeichnung in P1800 S: S für „gebaut in Schweden“.

Ein Wagen, der dich fesselt

Volvo P1800 S, Interieur Foto: Hans-Dieter Seufert
Der P1800 S fesselt, nicht nur wegen den Gurten.

Ach, bevor wir nun wirklich losfahren, gilt es noch, die Mühe aufzuzeigen, mit der wir an den Wagen gekommen sind. Anruf bei Volvo:

„Hättet ihr für ‚Der Alte im Tes ...‘“
„Wir schicken den roten P1800 S.“

Er reist an einem sonnigen Montag an, geht gleich auf die Verbrauchsrunde, für die er 10,2 l/100 km und drei Spritzer Bleizusatz braucht.

So, jetzt klinken wir das schwere Schloss des Statikgurtes in die massive Metallöse im Mitteltunnel, an der man wohl das ganze Auto hochheben könnte. Fesselig fühlt sich das nun an, aber eben auch ein wenig sicher. Mit einem Daumenbreit Choke startet der 1,8-Liter-Vierzylinder gleich auf den ersten Schlüsseldreh, verfällt in einen Leerlauf so rau, dass du fürchtest, sein Klang könne den Putz von den Garagenpfeilern schmirgeln. Erster Gang, Kupplung kommt, das Coupé ruckt an, zieht eine Schallschleppe bis hoch zum Rolltor, das sich träge hochwickelt. Wir fahren hinaus, direkt ins Unwetter hinein.

Es gibt ja Schönwetterautos, und es gibt Volvo, deren wahre Qualität sich erst in Sturmtiefs zeigt. Da fühlt sich die Fahrt so heimelig an wie ein Sommertag in Bullerbü. Gerade perlt der Regen am P1800 S ab. Mit einer Selbstverständlichkeit, die 52 Jahre alten Wagen selten eigen ist, bringt er uns zur Autobahn, rauft da so lange mit dem Unwetter, bis es aufgibt.

Die Wolken ziehen auf und der Volvo schnürt so dahin, mit gemütlichen 120 km/h auf der rechten Spur über die A 6, die sich durch den Kraichgau westwärts hügelt. Nur an den wenigen steilen Steigungen musst du kurz kuppeln und das dürre Hebelchen antippen, das aus der Lenksäule sprießt. Darauf schaltet sich der Overdrive aus, und der Motor tourt wieder im vierten Gang des kurz übersetzten Getriebes. Während es beim Amazon gilt, die Zahnräder über einen spazierstocklangen Hebel reinzuschürhakeln, lassen sich die Gänge der M41-Box beim 1800 S über einen kurzen Schaltstummel auf dem Mitteltunnel durchklickediklacken.

Es ist noch früh, als wir in Hockenheim ankommen. Kurzer Stopp an der Tankstelle für Kraftstoff und eine Basiswäsche. Dann fahren wir rüber ins Motodrom. Weil gerade alles da ist – der Volvo, die Strecke, die Zeit, die Möglichkeit –, drehen wir nach dem Wiegen ein paar Runden auf der leicht feuchten Strecke. Och, das geht aber erstaunlich voran, denkst du dir, während du das Coupé am dürren Lenkrad durch die Kurven steuerst – wobei die Lenkung laue Präzision mit erstaunlichen Lenkkräften zu verbinden mag. Und unten in der Senke drängelt der Volvo gar mit dem Heck – allerdings nur bei mildem Tempo, oberhalb von 30 km/h schubbert er gleich ins Untersteuern.

Jetzt wird gemessen

Volvo P1800 S, Außenansicht Foto: Hans-Dieter Seufert
Auch so ein alter Volvo muss sich den harten Testkriterien stellen.

Zurück in der Boxengasse vermessen wir den Innenraum, den Wendekreis (schlanke 10,1 m), dann verkabeln wir die Mess-Elektronik. Als das GPS Satellitenkontakt hat, fahren wir wieder raus, stellen erst eine unerhebliche Tachoabweichung (drei Prozent) fest und eine durchaus erhebliche Geräuschentwicklung (bis zu 87 Dezibel, immerhin so laut wie im Cockpit eines Propellerflugzeugs).

Die Strecke ist jetzt abgetrocknet, also können wir bremsen. Hoch bis knapp über 100 km/h, Knöpfchen drücken, voll auf die Bremse, aber die Verzögerung immer knapp unter der Blockiergrenze halten. So steht der Volvo im Mittel nach 47 Metern. Das entspricht einer Verzögerung von 8,2 m/s² – durchaus druckvoll für ein Auto, das schon über ein halbes Jahrhundert unterwegs ist.

Davon -– und so überbrücken wir die Zeit, die wir bis zum Beginn der Geraden brauchen -– verbringt der Volvo sieben Jahre als Filmstar. Roger Moore fährt in 118 Folgen von „Simon Templar“ (ja, ja, „The Saint“ für alle, die immer alles im Original anschauen, weil bei der Synchronisierung so schrecklich viel verloren geht, meistens übrigens das, was man im Original eh nicht verstünde) einen P1800, weil Jaguar keinen E-Type rausrückt.

Wir rücken jetzt aber aus, zur Beschleunigungsmessung. Beim Start quietschen die Vredesteins kurz, sodann macht sich der Volvo auf. Der Ton des Motors wechselt bei 2.500/min von Anstrengung in Empörung. Doch das sanft auftoupierte Triebwerk drückt das 1.082 kg leichte Coupé in 10,6 Sekunden auf 100 km/h, 400 Meter sind in rüstigen 17,4 Sekunden erreicht. Jetzt noch Pylonen aufstellen, worauf sich der Volvo gemächlich, mit starker Seitenneigung, aber neutral und unzickig durch Slalom und Spurwechsel schaukelt.

Am Ende kühlt das Coupé in der Box ab, Sonnenstrahlen glitzern über die bechromten Heckflossen. Doch schau, der Wind trägt schwere Wolken übers Land. Braut sich ein Sturm zusammen? Wäre ja noch schöner.

Vor- und Nachteile

Karosserie
  • brillante Rundumsicht
  • schaut einfach großartig aus
  • zeitgeistige Möblierung mit schwarzen Ledersesseln
  • enger Fond minimiert die Gefahr, dass weitere Mitfahrer die romantische Zweisamkeit stören
  • so solide gebaut, dass er viele Jahrzehnte überdauert
  • ganz modern: in Klappe integrierter Tankdeckel
Fahrkomfort
  • umgängliche Federung
  • es gibt Heizung und Lüftung
  • drinnen so heimelig wie ein Winterabend in Bullerbü...
  • ...und laut wie bei den Kindern aus der Krachmacherstraße
Antrieb
  • rüstiger Vierzylinder
  • präzise Schaltung, Over Drive
  • Motor wirklich empört von Drehzahlen über 2.500/min
Fahreigenschaften
  • Übersteuern nur bis 30 km/h
  • Lenkung beeinflusst Fahrtrichtung maßgeblich mit
  • agiler als später Volvo 343...
  • ...aber das trifft ja auch auf Straßenbahnen zu
Sicherheit
  • ...aus Schwedenstahl
  • dazu gibt es Gurte, die einen geradezu ins Auto fesseln, und eine Bremse pro Rad
Umwelt
  • ...sieht aus dem P1800 S heraus selbst als badische Provinz schwedisch aus
  • ...hat lange was vom Volvo, denn er ähnelt ihr in seiner Beständigkeit, die Jahre ziehen vorbei, er aber bleibt
Volvo P1800 S
  • ach, die relativieren sich doch über all die Jahrzehnte
  • endlich angemessen teuer

Fazit

Wir haben nur fünf Sterne. Einen gibt es für den echten Schwedenstahl, einen für die verbogene Sportlichkeit der frühen Zeit, einen für den rüstigen Motor und zwei, weil Schönheit beim P1800 S nicht vergeht.